Kleine
Kulturgeschichte der Firma Franz Schneider Brakel, FSB
Kulturelles
Verhalten
Die
Betrachtung der Dinge, die in einem Land produziert und
benutzt werden, verrät in der Regel mehr über die
jeweilige nationale Kultursituation und das Leben der
Menschen, ihre Ansprüche und Wünsche sowie über ihr
Denken und Handeln, als ein Besuch der Theater und Museen
des betreffenden Landes. Weitaus unmittelbarer als Kunst
dies noch zu leisten vermag, ist heute Design an der
Gestaltung der modernen Lebenskultur beteiligt.
Mit dem
Aufkommen der industriellen Massenproduktion von Waren aller
Art hat sich Design bis in die Gegenwart hinein zu einer
eigenständigen ästhetischen Gattung entwickelt, die einen
ganz entscheidenden Einfluß auf die Produktion und
Gestaltung der gesellschaftlichen Realität nimmt. Einfluß
und Bedeutung des Designs lassen sich aber nicht allein an
der Gestaltung massenhaft hergestellter Produkte festmachen,
sondern sie reichen weit darüber hinaus in den
gesellschaftlichen Kontext der Industrieproduktion hinein.
Jedes Produkt, ganz gleich worum es sich dabei auch handelt,
kann dabei, je nachdem welche spezifischen Denk-, Sicht- und
Handlungsweisen damit einhergehen, unterschiedliche
Bedeutungen annehmen. Wie der Designhistoriker Gert Selle
diesbezüglich ausführt, nützt es nichts, die Dinge gut,
schön oder häßlich zu finden. "Statt dessen müssen
sie als Ausdrucksformen eines historischen Zusammenhangs von
Produktion, Verteilung, Aneignung, Genuß und rückwirkender
Gebrauchserfahrung im Kontinuum der zeitgenössischen Dinge
und Räume, Wahrnehmungsweisen und Deutungsmöglichkeiten
gesehen werden, die im weitesten Sinne
historisch-ästhetisch den Bestand einer kollektiv
erfahrenen und gelebten Alltagskultur bilden." Design
kann somit als eine ästhetische Ausdrucksform der modernen
Industriegesellschaft gedeutet und verstanden werden. In
diesem Fall steht Design zugleich in enger Verbindung mit
der jeweiligen technologischen, ökonomischen und
kulturellen Entwicklung dieser Gesellschaft. Nicht zuletzt
deshalb spiegelt sich im Design der Dinge auch wider, aus
welchem Geist heraus und mit welcher Haltung und Intention
Produkte hergestellt, vertrieben und benutzt werden.
In dem Maße,
wie die Erzeugung von Industrieprodukten nicht
ausschließlich aus dem Interesse eines simplen pekuniären
Profitstreben geschieht, kann dabei jeweils ein spezifischer
Gestaltungswille erkannt werden, der jeder
Produktentwicklung als Idee oder Vision vorausgeht. Die
Dinge entstehen nicht einfach von selbst aus sich heraus,
sondern sie werden nach wie vor von Menschen entworfen und
gemacht, auch wenn heute im Produktionsprozeß überwiegend
Maschinen und Roboterarme am Werk sind. Die Menschen, die
als Unternehmer, Produktentwicklungsmanager oder Designer,
als Vordenker und Ideengeber, Konstrukteure und Ingenieure
mit ihrem Gestaltungswillen und der damit einhergehenden
Haltung am Anfang jeder neuen Produktentwicklung stehen,
sind es, die auf diese Weise an der kulturellen Entwicklung
der Gesellschaft maßgeblich beteiligt sind. Durch ihr
spezifisches Handeln tragen sie die Verantwortung dafür,
welche Formen die Kultur im großen und ganzen wie auch im
allgemeinen und besonderen anzunehmen vermag.
Kultur wird
stets durch kulturelles Verhalten und kulturbewußtes
Handeln erzeugt. Dieses ist im wesentlichen durch die
Herausbildung von Gemeinsamkeiten bestimmt. Es geht dabei um
die Identifizierung des einzelnen mit den Strukturen und
Verhaltensweisen der anderen innerhalb einer Gruppe, die
sich wiederum dadurch von anderen Gruppen bzw. Kulturen
unterscheiden. Die Gemeinsamkeit, um die es dabei geht, kann
sich auf sehr unterschiedliche Bereiche beziehen. Immer geht
es jedoch darum, daß in den jeweils ausgewählten Bereichen
gemeinsame Denk-, Sicht- und Handlungsweisen aus einer
Vielzahl von vorhandenen Möglichkeiten quasi wie
selbstverständlich und selbstbestimmt von jedem einzelnen
entwickelt, erkannt und anerkannt werden.
Kultur kann
also nicht prinzipiell als immer schon vorhanden definiert
oder gar als vorgegebenes zwanghaftes Verhaltensmuster
verordnet werden, sondern das Wesentliche an ihr ist, daß
sie bereitwillig von mehreren Menschen einer Gruppe gelebt
wird. Kultur beschreibt demnach eine jeweils spezifische
Form des Lebens und des Umgangs miteinander.
"Kulturelles Verhalten," so sagt Humberto Maturana,
"entsteht also nicht aus einem besonderen Mechanismus;
es stellt nur einen besonderen Fall von kommunikativem
Verhalten dar."
Wenn wir
bezogen auf ein Unternehmen von Kultur sprechen, so ist
damit die spezifische Form des in diesem stattfindenden
Lebens der dort tätigen Menschen gemeint. Die Rolle, die
das Design dabei spielt, hat Otl Aicher einmal wie folgt
beschrieben: "Design ist der Lebensvorgang eines
Unternehmens, wenn sich Absichten in Fakten und
Erscheinungen konkretisieren sollen. Was man will, soll
Erscheinung werden. Dazu bedarf es des technischen Angebots,
vor allem aber der Form, wie dieses Angebot zur Erscheinung
kommt. Design ist neben der nackten Zahlenökonomie die
Substanz des Unternehmens. Es ist nicht ein Mäntelchen. Es
ist das Zentrum der Unternehmenskultur, der innovativen und
kreativen Beschäftigung mit dem Unternehmenszweck."
Für die
Entwicklung der Kultur kommt es also nicht zuletzt darauf
an, welcher Zweck mit einem Unternehmen verfolgt wird. Die
Bestimmung des jeweiligen Zwecks wiederum ergibt sich
daraus, welche Wünsche, Ängste, Hoffnungen, Visionen usw.
das unternehmerische Handeln bestimmen. Die Existenz, das
Leben und Überleben eines Unternehmens ist dabei nicht
einfach per se durch die irgendwie vorhandene Geschichte und
Tradition gegeben, sondern jedes Unternehmen wird als
solches immer wieder durch die bewußte oder unbewußte
Entwicklung spezifischer Kommunikations- und Handlungsformen
als ein lebendiger Prozeß konstituiert. Dies bedeutet, daß
auch der Unternehmenszweck immer von neuem in Frage zu
stellen und in angemessener Form neu zu durchdenken und zu
formulieren ist. Vom Unternehmer wird dabei verlangt, daß
er in der Lage ist, sein eigenes unternehmerisches Handeln
stets aus einem veränderten Blickwinkel zu betrachten, da
er nur so zu neuen Ansichten, Erkenntnissen und Absichten
gelangen kann. Die neuentwickelte Absicht, etwas anderes zu
wollen und dies dann auch zu machen, setzt stets die
Fähigkeit des erkennen könnens voraus. Nur wer erkennen
kann, was er tatsächlich macht und was er will, ist auch in
der Lage, sein Handeln in angemessener Form zu verändern,
wenn es zum Überleben erforderlich ist. Leider verfügen
nicht alle Unternehmer oder Manager über diese Fähigkeit,
weshalb viele von ihnen auch manchmal bis zum bitteren Ende
des von ihnen geleiteten Unternehmens nicht erkennen
können, was sie hätten anders machen sollen. Nicht selten
ist dabei vom unvorhersehbaren Schicksal oder von widrigen
Umständen und einem unglücklichen wirtschaftlichen
Geschehen die Rede. Was hat aber das Sterben oder Überleben
von Unternehmen mit der Frage nach dem Verhältnis von
Kultur und Wirtschaft zu tun?
Nun, zum
einen verhält es sich so, daß nur lebende Unternehmen
einen aktiven Beitrag zur Gestaltung der Kultur leisten
können. Andererseits soll es hier jedoch nicht darum gehen,
mit welchen zumeist finanziellen Beiträgen Kultur von
Unternehmen gefördert wird, sondern auf welche Weise
Unternehmen durch die Verfolgung ihres Unternehmenszwecks,
also durch das, was in ihnen selber geschieht, an der
Gestaltung des gesellschaftlichen Kulturgeschehens beteiligt
sind. Von diesem Standpunkt aus betrachtet, macht es dann
gar keinen Sinn mehr, Kultur und Wirtschaft als voneinander
getrennte Bereiche des gesellschaftlichen Lebens zu
verstehen. Statt dessen ist es möglich, zu erkennen, daß
sich Kultur und Wirtschaft durch die spezifische Form
unseres Zusammenlebens hinsichtlich ihrer Entwicklung und
Existenz gegenseitig bedingen. Dabei kann aus heutiger Sicht
weder Wirtschaft ohne Kultur noch Kultur ohne Wirtschaft
existieren, wobei die Grenzen zwischen beiden Bereichen sich
immer mehr aufzulösen scheinen. Was damit gemeint ist, soll
im folgenden am Beispiel des kulturellen Schaffens der Firma
Franz Schneider Brakel, kurz FSB genannt, aufgezeigt werden.
Im Zentrum steht dabei die kontinuierliche Kultivierung des
Unternehmenszwecks, wie sie unter der Federführung des
Geschäftsführers Jürgen W. Braun seit seinem Eintritt in
das Unternehmen im Jahre 1978 betrieben wird.
Kultivierung
des Unternehmenszwecks
Gegründet
wurde die Firma FSB von Franz Schneider im Jahre 1881 in
Iserlohn. Damals wurden von dem Unternehmen Möbelbeschläge
aus Messing gefertigt, deren Gestaltung sich an der
Stilvielfalt des Historismus orientierte. 1909 erfolgte der
Umzug der Firma nach Brakel. Während dieser Zeit entstand
auch das Firmenkürzel FSB. Das Produktsortiment wurde durch
Beschläge für Türen und Fenster erweitert, worauf sich
das Unternehmen schließlich in den Jahren des Baubooms nach
dem zweiten Weltkrieg voll und ganz spezialisierte. Bedingt
durch die gut florierende Bauwirtschaft konnte FSB in den
60er und 70er Jahren eine ungefährdete und stabile Position
unter den Wettbewerbern in der Beschlägeindustrie
behaupten. Während dieser Zeit war der Wettbewerb unter den
Beschlägeherstellern aufgrund einer außergewöhnlich hohen
Nachfragesituation noch relativ entspannt. Dies änderte
sich jedoch, als in den 80er Jahren eine erste Krise in der
Bauindustrie eintrat. Um auch weiterhin das Überleben der
Firma zu sichern, kam es auf einmal mehr denn je darauf an,
sich von konkurrierenden Unternehmen in positiver Weise zu
unterscheiden. Diese neue Situation verlangte es, das
bisherige unternehmerische Handeln sowie den damit bis dato
erfolgreich betriebenen Unternehmenszweck in Frage zu
stellen und nach neuen Möglichkeiten Ausschau zu halten.
Hierin bestand sowohl die gefährliche Herausforderung als
auch die vielversprechende Chance für Jürgen W. Braun als
er damit begann, sich auf die Suche nach einer neuen
Strategie und einem damit einhergehenden veränderten
Unternehmenszweck zu begeben.
Diese innere
Bereitschaft zum Wandel, etwas ändern zu wollen, war
zugleich die wichtige Voraussetzung für Braun, daß er
schließlich auch dazu fähig war, für die Firma FSB einen
völlig neuen Unternehmenszweck zu erfinden und
dementsprechend zu handeln. Den ersten Anstoß hierfür
erhielt er irgendwann im Jahr 1985 als er während eines
Fluges von Lyon nach Frankfurt mit seinem zufälligen
Sitznachbarn, dem Unternehmer Klaus-Jürgen Maack, ins
Gespräch kam. Dabei unterhielten sich die beiden Herren
unter anderem auch über die damals sehr schwierige
Situation in der Bauindustrie, von der jeder der beiden mit
seinem Unternehmen betroffen war: der eine als Hersteller
von Türklinken sowie Fensterbeschlägen und der andere als
Leuchtenproduzent.
Von
Klaus-Jürgen Maack nahm Jürgen W. Braun den Rat entgegen,
das Thema Überlebensstrategie in dieser wirtschaftlich
schwierigen Lage mit einem erfahrenen und kompetenten
Gesprächspartner weiterzuführen. Als Empfehlung wurde
neben einigen anderen schließlich auch der Grafikdesigner
Otl Aicher genannt. Der war nicht nur für Maack und sein
Unternehmen Erco zu einem wichtigen Wegbegleiter und Berater
geworden, sondern hatte auch schon vielen anderen namhaften
Firmen - von der Braun AG bis zur Lufthansa - zu einem
überzeugenden Markt- und Markenauftritt verholfen.
Im
Spätherbst des Jahres 1985 kam es für Jürgen W. Braun zu
einem ersten Besuch bei dem Meister in Rotis. In einem
Vortrag schilderte Braun sehr anschaulich, was sich bei
dieser ersten Begegnung zwischen den beiden abgespielt hat:
"Vier Stunden lang hörte mir der große alte Mann des
Grafikdesigns damals zu. Ich war mit all unseren schönen
Katalogen angereist und hatte ihm geschildert, daß ich für
unser neu aufgelegtes Alternativprogramm nun einfach auch
eine bessere grafische Präsentation wünschte. Geduldig
ließ mich der Meister ausreden, dann entließ er mich mit
der freundlichen Bemerkung: 'Sie wissen ja gar nicht, was
Sie wollen. Sie glauben wohl, durch ein neues Gewand Ihre
Probleme lösen zu können. Ein Firmenanstreicher bin ich
aber nicht. Sie dürfen wiederkommen, wenn Sie begriffen
haben, was Sie eigentlich tun.' Es war ein Rausschmiß
erster Güte."
Andererseits
bedeutete diese Begegnung für Jürgen W. Braun und das von
ihm geleitete Unternehmen FSB den Eintritt in eine neue Art
des unternehmerischen Denkens und Handelns. Zugleich wurde
damit die Basis für den Aufbau eines von Desginmanagement
bestimmten erfolgreichen Marketings und eines überzeugenden
Marktauftritts geschaffen.
Heute
verfügt FSB selbst über ein perfektes Designmanagement. Es
hat dem Unternehmen bislang nicht nur gute Markterfolge
ermöglicht, sondern ihm darüber hinaus auch eine
Vorbildfunktion für viele andere Unternehmen gesichert.
Gleichzeitig gibt es wohl kaum ein anderes Unternehmen, in
dem das Erfolgskonzept Designmanagement in derartig
mustergültiger Form entwickelt wurde und umgesetzt wird.
Die Entwicklung des Unternehmens vom Hersteller eines
anonymen Allerweltproduktes zum Hersteller eines
profilierten Markenartikels im gehobenen Marktsegment ist
inzwischen das Synonym dafür, daß es möglich ist, mittels
eines konsequent und kontinuierlich praktizierten
Designmanagements wirtschaftlich schwierige Situationen zu
bewältigen und zum Markterfolg zu gelangen. Mindestens
ebenso lehrreich ist dabei die nicht zu übersehende
Tatsache, daß der Erfolg mit Design nicht mit Leichtigkeit
und ganz nach Laune zu erreichen ist, sondern nur mit harter
und intensiver, auf den Unternehmenszweck gerichtete Arbeit.
Ebenso wie
FSB haben in den 80er Jahren viele andere ihr Glück mit dem
Design versucht, doch haben es nur wenige von ihnen
tatsächlich ernst gemeint. Als Resultat steht am Ende oft
Mißmut und Verbitterung über den ausbleibenden Erfolg. Es
macht eben keinen Sinn, den Erfolg mit Design zu suchen,
wenn nicht zugleich das Management einen starken
Gestaltungswillen entwickelt, der das ganze Unternehmen
durchdringt. Mit Lippenbekenntnissen zur viel beschworenen
Kreativität, schnellen Patentrezepten für ein
Produktlifting und einem raschen Neuanstrich des
Unternehmens ist es einfach nicht getan. Schade um das Geld,
das bei derartigen Crash-Aktionen immer wieder verschwendet
wird. Und schade auch um die schlecht beratenen Unternehmen,
die teures Lehrgeld bezahlen müssen, um zu erfahren, daß
gutes Design eben doch etwas anderes ist, als der Wettlauf
um ausgefallene Ideen und verrückte Formen wie in den
Medien suggeriert. Denn so schnell heute etwas zum aktuellen
Trendsetter hochstilisiert wird, so schnell ist es wieder
vergessen, wenn ein neues Spektakel auftritt. Wer sich auf
dieses Spiel der Medien einläßt, kann am Ende eigentlich
immer nur verlieren.
Wie Jürgen
W. Braun inzwischen aus Erfahrung und mit Überzeugung zu
berichten weiß, ist die Gestaltung von Produkten, also das
herkömmliche Produktdesign, nur ein kleines Element im
Gesamtauftreten des Unternehmens. Grafikdesign,
Werbeauftritt, Auseinandersetzung mit der Umwelt, interne
Kommunikation, Personalwesen, Kontakt zum Kunden und zum
Lieferanten, all das gehört gleichrangig dazu. Und eben
hierum geht es auch, wenn vom Designmanagement die Rede ist,
also nicht um das einzelne Produkt, sondern um den gesamten
Marktauftritt und die kulturelle Bestimmung des
Unternehmens.
Somit
übernimmt ein sinnvoll praktiziertes Designmanagement eine
Querschnittsfunktion im Unternehmen, was bedeutet, daß es
nicht auf eine Abteilung zu reduzieren ist. Es geht - ganz
allgemein formuliert - beim Designmanagement um die
planerische und organisatorische Durchsetzung eines
spezifischen Gestaltungswillens, bezogen auf alle
produktiven und kommunikativen Aktivitäten des Unternehmens
nach innen und nach außen.
Die rein
ökonomische Dimension des Unternehmens wird dabei um eine
hinzukommende, spezifische kulturelle Dimension erweitert,
mit dem Ziel, die Einstellung der Öffentlichkeit gegenüber
dem Unternehmen in vorher intendierter Weise positiv zu
beeinflussen. Auf diese Weise wird das Unternehmen zum
beeinflussenden Faktor der gesamtgesellschaftlichen
Kulturentwicklung.
Für FSB ging
es darum, ein neues Bewußtsein bei Architekten, Schreinern
und Endkunden sowohl über die Produkte als auch über das
Unternehmen selbst zu schaffen, um so aus einer vorhandenen
Anonymität herauszutreten und ein neues Profil und Image zu
entwickeln. Als wichtigste Voraussetzung hierfür mußte man
sich aber zunächst einmal selbst eine klare Vorstellung
über das eigene Wunschprofil schaffen. Bevor diese Aufgabe
nicht gelöst war, konnte es überhaupt keinen Sinn machen,
über ein neues Erscheinungsbild oder dergleichen
nachzudenken. Eben dies hatte Otl Aicher gemeint, als er
Jürgen W. Braun empfahl, erst dann wiederzukommen, wenn er
selbst wüßte, was er wolle. Der Rat wurde verstanden.
Philosophie des Greifens
Wieder war es
ein Zufall, der Braun einen völlig neuartigen Blick auf
sein eigenes Handeln und das Unternehmen eröffnete. Durch
ein Buch über die Handlesekunst, das ihm beiläufig in
einem Buchladen aufgefallen war begann er zu begreifen, daß
das Unternehmen eigentlich Produkte für die Hand herstellt.
Unter diesem Aspekt betrachtet, mußte sich zwangsläufig
auch die Sicht auf das gesamte Unternehmen ändern. Die
Quintessenz dieser Entdeckung war die Erkenntnis, daß der
Produktion und dem Verkauf von Türklinken zuerst ein
grundsätzliches Verständnis der Tätigkeit des Greifens
vorausgehen mußte, um überhaupt verstehen und später dann
auch vermitteln zu können, worin das Wesentliche eines
derartigen Artefakts besteht.
Durch die
Konzentration auf das Greifen wurde gleichsam der Mensch mit
einem seiner genuinen Bedürfnisse in das Zentrum des
unternehmerischen Interesses gerückt. Wurde die Türklinke
bislang ganz allgemein als reiner Zubehörartikel ohne
individuelle Daseinsberechtigung verstanden, so erhielt
dieser Gegenstand dadurch, daß er jetzt als ein Ding von
essentieller, kulturhistorischer Bedeutung für den Menschen
begriffen wurde, einen völlig eigenständigen Charakter.
Mit einem Mal war es möglich geworden, das wahrhaft
Wesentliche in der Türklinke zu erkennen und ihre Funktion
in vier Grundelemente zu gliedern. Aus einem kaum
bestimmbaren Zubehörartikel wird so ein autonomes Ding an
sich, das dazu einlädt, vertieft darüber nachzudenken.
Nachdenken
war auch das Schlüsselwort für die weitere Zusammenarbeit
mit Otl Aicher, der dazu aufforderte, der Geschichte des
Türdrückers und der Anthropometrie des Greifens bis ins
Detail nachzugehen. Als Basis hierfür wurde gemeinsam mit
Otl Aicher an einer "Philosophie des Greifens"
gearbeitet, die schließlich zur Formulierung der vier
Gebote des Greifens führte.
Diese vier
Gebote, die inzwischen in der gesamten Branche Akzeptanz
gefunden haben, liefern einen elementaren Beurteilungsrahmen
für die Bestimmung des Funktionsgrades von Türklinken. Es
handelt sich dabei um die Gebote der Daumenbremse, der
Zeigefingerkuhle, der Ballenstütze und des Greifvolumens.
Die Erkenntnisse, die in dieser Phase des Nachdenkens
erarbeitet wurden, sind nach Schwerpunkten gegliedert in
einer selbst edierten Schriftenreihe des Unternehmen FSB
erschienen. Die einzelnen Bücher übernehmen dabei die
Funktion von kommunikativen Vorboten, die Schritt für
Schritt den intendierten neuen Marktauftritt vorbereiten
sollen. Während dieser Phase der Unternehmensentwicklung
wurde die Firma FSB des öfteren sogar als
"Kunstbuchverlag mit angeschlossener
Türklinkenproduktion" bezeichnet.
Die
strategische Phase des Designmanagements beginnt bei FSB mit
der Arbeit am Produkt selbst, der eine kulturgeschichtliche
Bestandsaufnahme zugrundeliegt. Im Unternehmen wird hierfür
die Bezeichnung "Europa-Strategie" geprägt.
Gemeint ist damit die Zusammenarbeit mit führenden
europäischen Industriedesignern und Architekten mit dem
Ziel, im Design eine Zielgruppendifferenzierung zu erreichen
und darüber hinaus im internationalen Wettbewerb
konkurrenzfähig zu bleiben. Dem liegt wohl nicht zuletzt
die Erkenntnis zugrunde, daß es in Märkten mit einem hohen
Sättigungsgrad immer wichtiger wird, durch eine sinnvolle
Produktdifferenzierung möglichst große Marktanteile zu
sichern. Wie kein anderes Unternehmen der Branche schafft es
FSB, diese Strategie mittels Design auf einem hohen
Anspruchsniveau zu praktizieren.
Auf der Basis
eines archetypischen Formenrepertoires werden sorgfältig
durchdachte Geschmacksdeklinationen des Produktangebots
durchgeführt. Auf diese Weise gelingt es, der
Anspruchshaltung des Zeitgeists variabel und flexibel
gerecht zu werden, ohne in rein modische Trends zu
verfallen. Das Design der FSB-Kollektion bewegt sich bewußt
im Spannungsfeld von Funktion, Form und Dekoration.
In der
nächsten Phase des Designmanagements steht die
Unternehmenskommunikation im Zentrum des Interesses. Dies
ist zugleich der Schlüsselbereich der darüber entscheidet,
ob der neue Marktauftritt gelingt, und ob er von der
Öffentlichkeit verstanden und akzeptiert wird. Die Chancen
für ein erfolgreiches Gelingen stehen hierbei - wie
zahlreiche Beispiele aus der Industrie belegen - eher
schlecht. Die Gründe hierfür sind zwar unterschiedlich,
doch ist zumeist ein durchgängiges Fehlverhalten zu
diagnostizieren.
Fast immer
wird die Wirkung der Werbung auf den Meinungswandel
überschätzt. Werbung besitzt zwar durchaus die Fähigkeit,
ein gänzlich neues Image aufzubauen und ein existierendes
Meinungsbild in der Öffentlichkeit zu festigen. Doch
stößt sie immer wieder an ihre Grenzen, wenn es darum
geht, Vorurteile zu brechen und bestehende Meinungen über
ein Produkt oder Unternehmen zu verändern. Hierzu bedarf es
vielmehr eines strategischen Vorgehens in der
Gesamtkommunikation, die beim Produkt beginnt und über die
Öffentlichkeitsarbeit und das Gesamterscheinungsbild bis
hin zu Werbeaktivitäten reicht. Die Koordinierung der
operationalen Schritte ist dabei Aufgabe des
Designmanagements.
Durch ein gut
durchdachtes und leicht zu begreifendes
Kommunikationskonzept, das auf der Strategie einer
Self-fullfilling-prophecy basiert, ist es dem Unternehmen
FSB gelungen, auch auf diesem Gebiet neue Maßstäbe zu
setzen. Das Prinzip ist dabei die Schaffung eines
selbstreferenziellen Informationssystems, das immer wieder
auf sich selbst zurückweist. Zuerst wird ganz allgemein in
deutlich identifizierbarer Form die Kultivierung eines
banalen Gegenstandes sowie eine kulturhistorische
Bestandsaufnahme zum Thema Türklinken betrieben, um im
nächsten Schritt deutlich zu machen, daß das Unternehmen
FSB mit seinen Produkten ganz maßgeblich an der Schaffung
dieser Kulturgüter und der darüber verfaßten
Geschichtsschreibung beteiligt ist. Dabei gewinnt die
Gestaltung der Kommunikation die gleiche Wichtigkeit wie das
Produktdesign, wenn sie es nicht sogar übertrifft. Wichtig
ist dabei, daß es gelingt, den Dialog mit der
Öffentlichkeit zu führen. Daß nicht einfach Erkenntnisse
und Botschaften unsensibel über Köpfe hinweg propagiert
werden, sondern, daß man sich darum bemüht, das Gespräch
zu suchen mit Architekten, Schreinern und jedem, der damit
beginnt, sich für die Kulturgeschichte von Türklinken zu
interessieren. Auf diese Weise gelingt es dem Unternehmen
zugleich, die Gegenwartskultur um einen neuen Bereich zu
erweitern.
Disegno und
Virtualität
Mit der
Kultivierung der Türklinke von einem banalen
Zubehörartikel zum kulturell bedeutenden Gegenstand an sich
ging zugleich die Kultivierung der Firma FSB von einem
einfachen metallverarbeitenden Betrieb zu einem
kulturstiftenden Unternehmen einher. Voraussetzung hierfür
war die bewußt gewollte Veränderung des Unternehmenszwecks
sowie die konsequente Entwicklung der Idee des
Designmanagements.
Statt einer
Kultivierung des eigenen Handelns dieser Art wären auch
andere Handlungsweisen möglich gewesen. So hätte man
beispielsweise auch beschließen können, das
Produktsortiment um andere Metallerzeugnisse mehr oder
weniger willkürlich zu erweitern. Man hätte beispielsweise
stets das produzieren können, wofür ein aktueller Markt
vorhanden ist. Jürgen W. Braun hat sich jedoch ganz bewußt
für das Projekt der Kultivierung des Unternehmenszwecks
entschieden, statt einfach nur auf eine Diversifizierung des
gewohnten Handelns zu setzen.
Hierin
besteht zugleich sein besonderer Beitrag zur kulturellen
Entwicklung der Gesellschaft. Dabei geht es weniger um die
Veränderung eines Produktes vom banalen Gegenstand zu einem
inzwischen vielbeachteten Kulturgut, sondern vielmehr um die
strukturelle Veränderung, die dadurch innerhalb der
industriellen Gesellschaft erfolgt. Braun liefert durch sein
Handeln ein anschauliches Beispiel dafür, daß es
unternehmerisch möglich ist, wirtschaftliche Interessen mit
dem Streben nach kulturellen Werten zu verbinden. "Ganz
wichtig erscheint mir," so schreibt mir Jürgen W.
Braun in einem Brief, "daß wir Mittelständler uns
nicht als Sponsoren der hohen Kultur verstehen, sondern 'im
Blaumann und mit dreckigen Fingernägeln' mit unseren
Produkten einen ganz eigenständigen Kulturbeitrag
leisten." Kulturförderung wird so als ein ganz eigener
Prozeß tatkräftiger Handlungen verstanden. Kultur wird
dabei aufgefaßt als etwas, an deren Entstehung jeder
einzelne als Erzeuger von Werken durch Taten beteiligt ist.
So entsteht zugleich bei jedem einzelnen die Verantwortung
dafür, was kulturell geschieht. Wer jedoch Kulturförderung
betreibt, indem er statt selber kulturelle Handlungen zu
unternehmen, finanzielle Mittel für das kulturelle Handeln
anderer zur Verfügung stellt, der entzieht sich seiner
Verantwortung, indem er sie mit Geld auf andere überträgt.
So erklärt sich auch das oft zu betrachtende unkultivierte
Verhalten von Konzernen gegenüber Mensch und Umwelt.
Jürgen W.
Braun bezeichnet den Ursprung seiner unternehmerischen
Handlungen sehr oft mit dem Begriff "disegno", der
während der italienischen Renaissance eine große Bedeutung
erlangte. "Disegno" bezeichnet nicht nur die
äußere Form eines Kunstwerkes, sondern verweist weit
darüber hinaus auf die künstlerische Idee, die geistige
Konzeption des auszuführenden Werkes. Der Begriff "disegno"
beschreibt einen schöpferischen Zustand im Menschen, der im
Deutschen sehr gut als Gestaltungswille zu übersetzen ist.
Gemeint ist damit die visionäre Kraft und die
geistig-konzeptionelle Fähigkeit, die erforderlich ist, um
ein Werk zur Entstehung zu bringen. Handelt es sich bei dem
Werk um ein Unternehmen, so wird das unternehmerische
Handeln zu einer schöpferischen, kreativen Tätigkeit, die
von Visionen gespeist wird, um nicht der Routine des
Tagesgeschäftes verhaftet zu bleiben. Bei FSB sind
inzwischen einige Visionen dieser Art zur Wirklichkeit
geworden.
Am Anfang
stand- wie bereits ausführlich beschrieben - die Vision von
der gestaltbaren Realität, die mit der Hilfe Otl Aichers in
Angriff genommen wurde. Im Zentrum stand dabei die
Erforschung der Türklinke als ein kulturell bedeutender
Gegenstand. Einhergehend damit erkannte Jürgen W. Braun,
daß sein gesamtes unternehmerisches Handeln einem
Gestaltungswillen folgt, der das Unternehmen als eine
bewußt gestaltete Realität am Leben erhält.
Dann war es
wieder eine zufällige Begebenheit in einem Flugzeug, die in
Jürgen W. Braun eine neue Vision aufkommen ließ. Diesmal
handelte es sich um die Vision von der Erhaltung der
natürlichen Realität, unserer Umwelt. Während eines
Fluges in den Vereinigten Staaten weckte bei ihm ein
Fragebogen mit der Überschrift "How green is your
business?" die Aufmerksamkeit für die reale
Umweltbedrohung durch die Industrie. Wieder fühlte er sich
selbst verantwortlich, durch tatkräftiges Handeln mit dem
Unternehmen einen Beitrag zum Umweltschutz zu leisten. Auch
hierbei geht es um eine kulturstiftende Maßnahme, mit der
er unter Beweis stellen möchte, daß unternehmerisches
Handeln nicht im Gegensatz zu einem verantwortungsvollen
Umweltbewußtsein erfolgen muß.
Als ein
erster Schritt in dieser Richtung wurde gemeinsam mit
einigen Wissenschaftlern an der Erstellung eines Öko-Audits
gearbeitet. Damit gelang es zugleich, wiederum einen neuen
Standard in der Entwicklung der Industriekultur zu setzen.
Danach wurden gezielte Maßnahmen zur Aufhebung aller
umweltbelastenden Prozesse des Unternehmens unternommen.
Seitdem werden alle im Unternehmen stattfindenden
Aktivitäten stets auf ihre Umweltverträglichkeit
überprüft. Die Kultivierung des Unternehmen wurde durch
die Schaffung eines ausgeprägten Umweltbewußtseins bei
allen Mitarbeitern weiterentwickelt.
Mitte der
90er Jahre entstand bei FSB die Vision zur Erreichung einer
neuen weiteren kulturellen Dimension. Diesmal geht es um die
Entdeckung der Virtualität als Ursprung jeglicher
Kreativität und um die Gestaltung einer
unternehmensgerechten virtuellen Realität. Jürgen W. Braun
sieht den Zweck seines unternehmerischen Handelns hierbei
darin, "Mit virtuellen Türklinken virtuelle
Erlebnisräume" erschließen zu können. Gemeinsam mit
dem New Yorker Architekten Peter Eisenman arbeitet er nun
seit einigen Jahren an der Entstehung eines virtuellen
Hauses. Jedoch geht es hierbei nicht darum, ein Haus zu
gestalten, welches in ähnlicher Weise mit
mikroelektronischen Finessen ausgestattet ist wie das des
Bill Gates'. Vielmehr entwickelt Jürgen W. Braun mit der
Idee von dem virtuellen Haus so etwas wie eine
Zukunfsmetapher, die neue Ideen und Visionen für künftige
Formen der Türklinke ermöglichen soll. Das Mögliche wird
dabei zum Machbaren, wobei wir uns immer wieder mit der
Logik des Rationalen auseinanderzusetzen haben. Sie ist es
zugleich, die unseren Blick auf die Zukunft ganz erheblich
einengt. Ein Ausweg aus dieser einengenden Situation könnte
dabei in der Poesie zu finden sein. Doch ist dies nur ein
erster Versuch, der alles noch im vagen beläßt. Jürgen W.
Braun beschreibt dies auf seine Weise, wenn er sagt:
"Unsere Suche nach dem virtuellen Haus ist Teil unserer
Vision vom Zeitalter der Kommunikation. Wer in unserem Haus
die Elfen nicht tanzen sehen will (oder kann), der hat
natürlich auch keine Chance, die Türklinken zu entdecken,
die uns die Türen der kommenden Jahrzehnte öffnen werden.
Wir aber wollen überleben. Deshalb träumen wir. Warum
nicht auch Sie?"
Fazit
Eines scheint Jürgen W. Braun bereits zu erkennen, nämlich
daß im Zeitalter der Kommunikation das Greifen und
Begreifen sowohl zum Öffnen von Türen als auch zur
Erschießung neuer Horizonte der Wahrnehmung und des Wissens
in neuen Formen geschieht. Nicht zuletzt handelt es sich
hierbei zuallererst wiederum um ein kulturelles und erst
danach um ein wirtschaftliches Problem. Dies jedoch zu
erkennen, setzt ein sehr ausgeprägtes kulturorientiertes
unternehmerisches Denken und Handeln voraus, wie es
zweifellos dank des tatkräftigen Handelns des Jürgen W.
Braun bei FSB heute vorhanden ist. Unternehmen dieser Art,
von denen es zugegebenermaßen nicht so sehr viele gibt,
gehen durch ihr aktives Handeln mit positivem Beispiel voran
und sind dadurch in der Lage, neue Maßstäbe in der Welt
von Kultur und Wirtschaft zu setzen.
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