"Kultur
für alle" — eine Utopie? Wo
bleibt die Kunst?
Dem
Oberbegriff des Symposiums "Kunst & Kommerz"
soll in der Folge meine Aufmerksamkeit dienen, jedoch
möchte ich einleitend kurz auf die Frage "Kultur für
alle" — ein Utopie? Wo bleibt die Kunst?"
eingehen.
Das
Wort "alle" bezeichnet im Zusammenhang hier eine
Klasse von Menschen, der anscheinend der Zugang zur Kultur
nur bedingt möglich war. "Kultur" meint,
weiterhin in diesem Zusammenhang, kulturelle Leistungen,
dazu gehören auch die Kunstwerke, welcher Sparte sie auch
immer angehören. "Kultur für alle" ist der Titel
eines von Hilmar Hoffmann 1979 publizierten Buches, das
einen hohen charismatischen und pädagogischen Stellenwert
besitzt. Der Begriff der "Utopie" ist wie das
(Indefinit-) Pronomen "alle" nicht weniger durch
eine verallgemeinernde, ja ideologisierende Dynamik
geprägt. Man spricht beispielsweise vom "utopischen
Horizont". Mit dem Geist der Utopie ist das Prinzip
Hoffnung verbunden. So Ernst Bloch, dessen Schrift "Vom
Geist der Utopie" 1918, das dreibändige Werk "Das
Prinzip Hoffnung" in den Jahren
1954-59
erschienen sind. Utopie ist eine Vorstellung, gleichsam
außerhalb des Menschen. Die Hoffnung steckt im Menschen.
Der visionäre, utopische Mensch ist bei weitem
rücksichtsloser als der hoffende Mensch. Beuys
beispielsweise hat diese Begriffe stets abgelehnt.
Der
Kulturbegriff von gestern entspricht nicht dem Kulturbegriff
von heute. Genauer ausgedrückt: Die damit verbundene
Wertung und deren Ausrichtung ist eine andere. Vielleicht
könnte man Kultur schlicht als den jeweiligen Stand einer
Sozialisation bezeichnen. Auf die Frage im Titel
zurückkommend, müßte es heute heißen: "Kultur für
jeden einzelnen", und diese Aussage wäre mit einem
Ausrufezeichen zu versehen, dahingehend, daß jeder einzelne
aufgefordert ist, die "Utopie" in sich selbst zu
realisieren. Die "Hoffnung" dies tun zu können,
müßte dann eher durch den Begriff "Glauben"
ersetzt werden, im Sinne des an sich selbst glaubens. Denn
bekanntlich hofft man nicht auf sich selbst, sondern glaubt
an sich selbst. Liest man François Furets großartige
Studie über "Das Ende der Illusion" (München
1995), dann wird einem klar, was die Ideologien, kraft ihrer
Utopie, in diesem Jahrhundert bis in die 70er Jahre
angerichtet haben. Durch die Vereinnahmung des
Selbstwertgefühls haben sie die kollektive Identität über
die individuelle gestellt.
Von
der Geschichte dieses Jahrhunderts haben wir gelernt,
individuell Selbstbewußtsein und Selbstwertgefühl in
Einklang zu bringen. Das gleicht in Zeiten gewaltiger
gesellschaftlicher Veränderungen oft einem "Ritt über
den Bodensee". Vergessen wir nicht: Auch die
Avantgarden in diesem Jahrhundert konnten durchaus wie
Ideologien funktionieren, denn sie schlossen mehr aus denn
ein.
Auf
die Frage: "Wo bleibt die Kunst?", möchte ich
antworten: Die Chancen der Kunst/der Künstler sind enorm,
denn der Freiheitsbegriff, wenn er denn nicht auch
beängstigend sein kann, war in dieser Form noch nie so
umfassend vorhanden wie heute.
Zum
Schluß dieser Einleitung ein Zitat von François Jacob,
einem Biochemiker und Nobelpreisträger des Jahres 1965 aus
seinem neuesten Buch "Die Maus, die Fliege und der
Mensch" (Berlin 1998): "Das zu Ende gehende
Jahrhundert hat sich eingehend mit Nukleinsäuren und
Proteinen beschäftigt. Das kommende wird sich auf die
Erinnerung und die Begierden konzentrieren."
Ich
meine: besser könnte die Prognose für die Künste nicht
sein.
Was
meint die landläufig gebrauchte Formel "Kunst &
Kommerz"? Vielleicht ist sie einfach ein Gerücht, weil
seit dem Ende der historischen Avantgarden vor rund 25
Jahren, als eine bestimmte Geschichte der Kunst, des
Theaters und der Musik in diesem Jahrhundert zu Ende ging,
das einst utopisch angepeilte Horizontsegment zunehmend
aufbrach und der künstlerische Wahrnehmungskreis sich zu
einem Gesichtsfeld von 360° öffnete, mit der Konsequenz,
daß alles möglich wurde. Fortan entstand Kunst nicht mehr
nur in den einst stilbildenden Metropolen. Künstler
arbeiten heute überall. Ich rede von den hochkarätigen
Künstlern, den Forschertypen. Das
"Schicksalsjahr" 1975 konnte damals in seiner
Bedeutung gar nicht wahrgenommen werden. (Vielleicht war es
auch das Jahr 1973, das Jahr der Ölkrise, ein Jahr nach der
alarmierenden Veröffentlichung des zweiten Berichts des
Club of Rome.) Mitte der 70er Jahre setzte, so Leo Nefïodow,
der 5. Kondratieffzyklus ein, der um das Jahr 2010/15
ausklingen wird. (Leo Nefïodow: "Der sechste
Kondratieff - Wege zur Produktivität und Vollbeschäftigung
im Zeitalter der Information" Bonn 1997)
Der
5. Kondratieff ist als Langzeitzyklus - unabhängig von
Konjunkturzyklen - durch die gesellschaftsrevolutionierende
Basisinnovation "Informationstechnologie"
geprägt. Die zunehmende globale Vernetzung führte dazu,
daß Information und Wissen mehr und mehr abrufbar wurden.
Davon profitierten alle und natürlich genauso die
Künstler. Der guten Ordnung halber wäre noch beizufügen,
obwohl dies nicht direkt mit dem Thema in Verbindung steht,
daß ab der Mitte der 70er Jahre erstmals eine Geschichte
der Kunst von Frauen einsetzt. Sie sind es, die am meisten
von der 68er Bewegung profitiert haben.
Die
"Grenzen des Wachstums", die Herausforderungen der
Ökologie, die Zweifel an der Machbarkeit und die aus den
Zwängen der stilbildenden Avantgarden befreite Kunst
führten in den gesellschaftlichen Prozessen zu einer
Selbstbefragung und zu einer Selbstreflexion, deren
Kehrseite - und dies ist nicht negativ gemeint - zu einer
"Ästhetisierung des Alltagslebens" führte. Das
opus magnum des Bamberger Soziologen Gerhard Schulze
"Die Erlebnisgesellschaft - Kultursoziologie der
Gegenwart", 1992 erschienen, gründet auf Erfahrungen
der 80er Jahre. Das Schlagwort von der Erlebnisgesellschaft
wird heute bekanntlich auf alle Bereiche der sinnlichen
Wahrnehmung ausgedehnt, vom Erlebnisbad über den
Erlebnispark bis zur Erlebnisgastronomie. Die Rede ist von
einem inneren, befreiten Erleben, das zu einer maßgeblichen
Größe wird. Das Schlagwort der "Fun Culture"
kommt nicht von ungefähr.
Nicht
nur für die Konsumgüterindustrie, sondern für alle
Wirtschaftszweige, die das freigesetzte Individuum in seinem
Selbstbewußtsein und Selbstwertgefühl ansprechen,
eröffnete sich ein neues, weites Feld.
Die
Rezession in den frühen 90er Jahren, die Öffnung der
Grenzen für den freien Kapitalfluß, sprich:
Globalisierung, führte vielerorts zu einem Kollaps der
Kommunen. Die Wirtschaft überrollte zusehends die Politik.
Damit begann der Kampf um die bisher so großzügig
staatlich geförderte Kultur, denn der "Sparschock für
die Städte" (so Joachim Becker, Oberbürgermeister von
Pforzheim 1993) mußte sich unweigerlich als erstes in den
Kulturetats auswirken. Zynisch gesprochen: Der Zeitpunkt war
nicht schlecht gewählt, denn der in den 80er Jahren auf
breiter Front einsetzende Ästhetisierungsschub hatte die
Wirtschaft längst auf ein Individuum aufmerksam gemacht,
das nicht nur unterhaltungshungrig, sondern auch
bildungshungrig war. Als deutlich wurde, daß sich Bund,
Länder und Kommunen langfristig mehr und mehr auf
hoheitsrechtliche Bereiche zurückziehen werden, deshalb
privatisieren müssen, wurde auch klar, daß jene Bereiche,
die sich nicht privatisieren lassen, nämlich die
kulturellen Institutionen, in hohem Maße von Dritten
abhängig werden. Das Sponsoring trat ins Zentrum der
Diskussion. Erst 1997 wurden bundesweit Kultur- und
Sportsponsoring gleichgesetzt. Vorher konnte ein Finanzamt
selbstherrlich die Verbindung eines Produktes bzw. dessen
Herstellers als relevant oder irrelevant für die jeweilige
kulturelle Institution beurteilen. Im Fall der Irrelevanz
wurde auf die Spende verwiesen. Sponsoring jedoch beruht auf
einer Gegenleistung des Gesponserten und kann von seiten des
Sponsors als Betriebsausgabe voll aus Werbemitteln
abgeschrieben werden. Ein Spender muß sich nicht "outen",
er kann ungenannt bleiben, der Sponsor und der Gesponserte
müssen sich dagegen "outen". Das ist das
Spannende an "Kunst und Kommerz", weil das
Unternehmen öffentlich für etwas einsteht. Natürlich
stellt sich sofort die Frage nach der Einflußnahme des
Unternehmens. Grundsätzlich ist die Frage leicht zu
beantworten: In der Palette von eigenen Vorstellungen und
Vorschlägen wird sich das Unternehmen für das eine oder
andere entscheiden, ohne jegliche Einflußnahme, denn
proportional zur Einflußnahme verringert sich entsprechend
die Vermittlungsintensität des Gesponserten. Daran kann
einem Unternehmen nicht gelegen sein. Mit anderen Worten: Es
ist einfach, bei vorhandenen Mitteln eine Ausstellung von
Picasso, Matisse, Magritte oder Schiele zu sponsern, weil
diese Künstler heute allgemein akzeptiert sind. Im Fall der
"Künstlerförderung" jedoch, die sehr viel
weniger Mittel beansprucht, will ein Unternehmen sich der
Kreativität in der Gegenwart öffnen.
Es
gehört heute nicht nur zum guten Ton für ein Unternehmen,
sich der Kultur und den Künsten zu öffnen. Das Augenmerk
auf das Individuum setzt auch neue Akzente im Bereich der
Kreativitätsforschung. Die Unternehmen haben längst
erkannt, daß durch die Verflachung von Hierarchien und
durch Dezentralisierung die schöpferische Eigenkompetenz
des Einzelnen in einem Maße gefordert ist, die das
Unternehmen aus sich heraus gar nicht leisten kann. So
gesehen müssen die Ideen von überall her einfließen. Wer
immer über einem Problem brütet und nicht weiter kommt,
sollte sich vielleicht Bilder in einer Ausstellung, ein
Theater, einen Film ansehen oder ein Konzert anhören. Und
plötzlich wird er die Lösung für sein Problem haben, weil
er (emotionale) Erkenntnisse aus dem Gesehenen / Erlebten zu
extrapolieren weiß. (So ein Ingenieur der Siemens AG in
einem Gespräch.)
Sponsoring
bindet das Unternehmen ein, verpflichtet es gegenüber
seinen qualifizierten Mitarbeitern. Letztlich muß es so
sein, daß jedes Unternehmen die Künste als eine
"operative Einheit" in seine Philosophie
integriert, weil das eingeforderte und eingebrachte
Kreativitätspotential keine fach- oder bereichsspezifischen
Grenzen kennt.
Berührungsängste
sind stets eine Form des Selbstschutzes. Sie sind
kontraproduktiv. Deshalb befürworte ich das Modell der
public-private-partnership. Wenn heute ein neues Museum
geplant wird, stellt sich diese Frage von selbst. Dies war
nicht der Fall bei jenen Häusern, die in den vergangenen
Jahren eröffnet wurden, denn ihre Planung geht bis in die
80er Jahre zurück.(Das Museum für Moderne Kunst wurde 1980
beschlossen und am 6. Juni 1991 eröffnet.) Es hängt von
der Intelligenz der Planung ab, einen Bau so zu gestalten,
daß der kommerziell genutzte Teil in keiner Weise mit dem
Museum kollidiert, weder in der Erscheinungsqualität noch
in der räumlichen, ausstellungsspezifischen Charakteristik.
Die Mieten aus dem kommerziell genutzten Teil tragen dazu
bei, die Betriebskosten des Museums zu senken. Voraussetzung
für eine effiziente Betriebsführung ist allerdings die
Aufhebung des kameralistischen Systems. Die Rede ist von
einer alles verschlingenden Stadt- oder Staatskasse, die das
Sparen deshalb obsolet macht, weil jeder am Ende des Jahres
die noch zur Verfügung stehenden Gelder ausgeben wird.
Damit im Zusammenhang steht auch die Notwendigkeit der
Kompatibilität von Haushaltsposten. Für den
Außenstehenden mag dies unverständlich klingen, weil ihm
die Rigidität einer staatlichen oder städtischen
Haushaltsbürokratie nicht einsichtig ist. Alle Einnahmen
kommunaler oder landeseigener Museen müssen als
zusätzliche Leistung honoriert werden, müssen von Jahr zu
Jahr übertragen werden können, und dürfen nicht durch
Verringerung oder gar Streichung von Ausstellungs- und
Ankaufsetats, bestraft werden. (Dies ist beispielsweise der
Fall in Frankfurt am Main, wo die Museen heute weder einen
Ausstellungs- noch einen Ankaufsetat besitzen.)
Eines
jedoch ist sicher: die unerbitterlichen Sparmaßnahmen haben
die Museen gezwungen, sich zu öffnen. Ist eine Dinnerparty
gegen Entgelt im schönsten Saal des Museums etwas
Despektierliches? Natürlich soll diese im Zusammenhang mit
einer Führung geschehen, damit die Gäste wissen, daß die
Werke, die sie umgeben, Teil der abendlichen
Tischgesellschaft sind.
Zähneknirschend
lassen sich Museen jedoch nicht in gastfreundliche Häuser
verwandeln. Dienstleistung ist hierzulande häufig immer
noch ein Fremdwort, und Besucher werden häufig nicht als
Gäste, sondern als Eindringlinge betrachtet. Museen müssen
lernen, auf ihr Äußeres und ihr Inneres zu achten. Die
gerade neu eröffnete Kunsthalle Bremen und das Städelsche
Kunstinstitut in Frankfurt, dessen Eröffnung für 1999
geplant ist, sind exzellente Beispiele, wie durch eine
Mischfinanzierung grundlegende Renovierungen ermöglicht
werden. Die Besucher sind mit Recht anspruchsvoller
geworden. Sie mögen verstaubte Museen nicht. Das heißt
keineswegs, daß ein Museum in ein Disneyland umgestaltet
werden muß. Aber die Präsentation von Werken und
Ausstellungen, die den Standards der Ästhetisierung unserer
heutigen Gesellschaft entspricht, ist unerläßlich.
Hinzu
kommt etwas entscheidendes: Es gilt, die Werke als Wesen zu
betrachten, ihre Kommunikationsfreudigkeit und Neugier zu
befriedigen. Es gilt, Chronologien aufzubrechen und
ungewohnte Begegnungen zu ermöglichen.
Meint
ein Sponsor, er müsse auch noch in der Ausstellung selbst
präsent sein, irrt er sich, denn seine plakative Präsenz
wird unvermeidlich zum Bumerang.
Ich
wiederhole die eingangs gestellte Frage: Ist der Ausdruck
"Kunst & Kommerz" ein Gerücht?
Daß
Ausstellungen berühmter Künstler als "touristische
Attraktion" verkauft werden, stört mich überhaupt
nicht, denn die Menschen entdecken die Kunst dieses oder
eines vergangenen Jahrhunderts in einer Weise, wie dies
vorher noch nie zu beobachten war. Mehrheitlich haben wir
das Staunen verlernt. Wir staunen im Fernsehen ob dem
"Tor des Monats", aber ich habe noch nie so viele
staunende Menschen gesehen wie in Ausstellungen anerkannter
Meister. Manchmal gehe ich durch solche Ausstellungen nur,
um mir die Gesichter anzuschauen.
Umgekehrt
sieht man in Ausstellungen von Gegenwartskunst oft ratlose,
manchmal auch verärgerte Gesichter. Halten wir fest: Jede
Kunst war zu jeder Zeit ihres Entstehens
erklärungsbedürftig. Daß es Museen für Gegenwartskunst
gibt, ist eine Erfindung der letzten 20 Jahre. Eine in der
Tat großartige Erfindung, denn weshalb soll ich viele
Jahrzehnte warten, um die Produkte eines einstmals jungen
oder jüngeren Künstlers als herausragend beurteilen zu
können?
(Hätte
ich van Gogh 1890 in Arles besucht, wäre mein Urteil
vielleicht vernichtend ausgefallen ...) Der
Erklärungsbedarf von Gegenwartskunst kann nur durch
Vermittlung kompensiert werden. Deshalb machen wir in
unserem Museum auch über 1000 Führungen im Jahr. Die
Menschen wollen die Gegenwartskunst kennenlernen, weil sie
bestrebt sind, sich Erkenntnisse über das Denken von
Gegenwart im Sinne des Schaffens von Welt anzueignen.
Künstler vermitteln Sicht- und Denk-Schneisen im Sinne von
Modellen, die nicht 1:1 übertragbar sind, deren
Erkenntnisse aber sehr wohl extrapoliert werden können. -
Im Kontext der Forderung nach Innovation sind alle
angesprochen. Insofern sind Kunst und Kommerz, Kunst und
Wirtschaft keine feindlichen Lager. Es ist jedoch
unumgänglich, Aufgabenbereiche deutlich von einander zu
trennen.
Anläßlich
der Biennale von Venedig 1995 verschickte ich für die
Ausstellung im deutschen Pavillon, für den ich zuständig
war und erhebliche Mittel einwerben mußte, eine
Einladungskarte, auf der das Auswärtige Amt als
Auftraggeber, der deutsche Botschafter und die großen
Unternehmen gleichwertig genannt wurden. Zusätzlich waren
die Firmenlogos all jener Unternehmen abgedruckt, die
geholfen hatten, die Ausstellung zu realisieren. Das war ein
Sakrileg. In der von einem Unternehmen gesponserten Sendung
"Aspekte" des ZDF, wurde ich in Verbindung mit der
Sponsorentafel am Eingang des deutschen Pavillons
buchstäblich lächerlich gemacht. Mich hat das nicht
gestört, denn mir war klar, daß an den einen die
Geschichte (rasant) vorbeizieht, und die anderen sie in
ihrer Umwandlung nachvollziehen und auch positiv erleben.
Diese Aussage bewahrt auch ihre Gültigkeit für viele
Bereiche in unserer Gesellschaft.
Daß
Unternehmen Kunst in ihre Häuser integrieren, spricht für
die Unternehmer und nicht gegen die Kunst. Oft hört man,
daß die Werke damit der Öffentlichkeit entzogen würden.
Ich bin da anderer Meinung, denn die vielen Mitarbeiter
werden in den Prozeß der Meinungsbildung einbezogen. Sie,
die vielleicht nie ein Museum der Gegenwartskunst besucht
haben, verspüren die Neugier, mehr darüber zu erfahren.
Führungen im eigenen Hause, gemeinsame Besuche mit
Führungen in Museen, fördern die Bereitschaft, sich dem
Fremden, Unbekannten zu nähern.
Kommerzialisierung
ereignet sich dann, wenn sich die Kunst mißbrauchen läßt.
Aber müssen wir uns über jene Künstler unterhalten, die
dies so wollen? Ich weiß aus London, daß Galeristen
spektakuläre Werke von jungen Künstlern zu einem hohen
Preis anbieten, dem potentiellen Käufer gleichzeitig
versichern, daß dieser das Werk eigentlich zum Nulltarif
erwerbe, denn jegliche Nutzungsrechte seien mit dem Kauf
verbunden und ließen sich bei Wiederverkauf auch
übertragen.
Allgemein
hat eine solche Vereinbarung keine Chance, denn sie würde
bedeuten, daß der Künstler darauf erpicht wäre, nur Werke
zu schaffen, welche der Vermarktung auf breiter Ebene
dienlich wären. Man kann solches zwar als intelligentes
Konzept gelten lassen, aber für die Kunst ist es letztlich
irrelevant.
Die
Rede von der Kommerzialisierung der Kunst ist die negative
Codierung einer zunehmenden Akzeptanz von Kunst und deren
Bedeutung. Wie so oft, nimmt man die Auswüchse zuerst wahr
und verkennt die ungeheure produktive Dynamik der
Kreativität vieler junger Künstler. Nicht alles ist Kunst,
was sich heute als solche anbietet. Aber das wissen wir seit
jeher.
Daß
sich an Stelle der Avantgarden Trendbildungen
herauskristallisieren, die nie mit der Funktion der
Avantgarden in diesem Jahrhundert gleichgesetzt werden
dürfen, erklärt sich aus den Mentalitätsräumen, die, je
stärker Europa zusammenwächst, auseinanderdriften. Sie
besitzen in gesellschaftsrelevanter Hinsicht einen
symptomatischen Charakter, wie auch eine marktspezifische
Dynamik. Sie sind jedoch mit Vorsicht zu genießen, weil sie
stimmungsabhängig, eher reagierender Natur sind als
prospektiv agierend.
Daher
ein Wort über die Kunst und den Künstler. Der Künstler
erforscht sein Selbst aus einem Denken und einem Bewußtsein
von Gegenwart heraus. Dieses Selbst ist wesentlicher Teil
des Körpergedächtnisses, dahingehend, daß dieses
Körpergedächtnis genetischer, biographischer, erinnerter
und kultureller (kollektiver) Natur ist. Die Kunst ist so
alt wie der denkende Mensch. Sie ist dem Menschen eigen.
Unter diesem Gesichtspunkt ist die Kontaminierung von Kunst
durch Medien und der Medien durch die Kunst ein Phänomen
der Ästhetisierung unserer Gesellschaft. Ich würde sagen:
ein Oberflächenphänomen, das weder die Kunst noch den
Künstler in seinem Kernbereich auch nur annähernd in Frage
stellt. Daß eine junge Künstlergeneration, die mit den
Medien aufgewachsen ist, diese auch als bildnerische Sprache
einsetzt, versteht sich von selbst. Jedoch muß das
Emphatische, das die sogenannten Neuen Medien auf ihrem
Siegeskurs begleitet, auf deren Inhaltlichkeit überprüft
werden. Da zeigt sich vielerorts eine eklatante
Dürftigkeit, die durchaus verständlich ist, weil der
technische und zeitliche Aufwand enorm ist und die
inhärenten Möglichkeiten zuerst einmal erforscht werden
müssen. Dennoch ergeben sich gerade hier Schnittstellen
zwischen Kunst und Werbung, weil die Werbung Bilder schafft,
die sich mit Bildern im künstlerischen Bereich
überschneiden können (und umgekehrt).
Dem
gleichen Phänomen begegnen wir in der Fotografie. Schaut
man sich heute gewisse Modezeitschriften an, finden wir
stupende Frauenporträts, die sehr viel stärker sind als
die Kleider, die sie zur Schau tragen. Der Frauentypus ist
die Botschaft, nicht deren Kleider oder Accessoires. Anders
ausgedrückt: "Die Klamotten rennen hinter den Frauen
her." Es geht hier nicht um die alte Geschichte, daß
berühmte Fotografen auch Modeaufnahmen geschaffen haben
(George Platt Lynes, Peter Hujar, Richard Avedon, ...), es
geht um die Tatsache, daß in der Modefotografie ein Typ von
Frau geschaffen wird, der auch der Position der Frauen in
unserer heutigen Gesellschaft entspricht. Das hat die Kunst
in dieser Form bisher nicht geschaffen (vielleicht mit
Ausnahme von Bettina Rheims). Gerade hier, würde ich sagen,
wird die Verbindung von Kunst und Werbung / Kommerz
produktiv, weil eine gegenseitige Befruchtung stattfindet,
denn natürlich beziehen sich die Werbefotografen wieder auf
Bildvorstellungen aus der Kunstgeschichte und der Geschichte
der Fotografie.
Einen
eklatanten Fall von Kunst und Werbung hat Oliviero Toscani
für Benetton geschaffen, als er gezielt
Reportagefotografien mit dem grünweißen Logo "United
Colors of Benetton" versah. Aus meiner Sicht wurden
diese gigantischen Plakate in Deutschland völlig zu unrecht
verboten. Wir haben im Museum für Moderne Kunst Frankfurt
am Main diese Plakate in drei, über sechs Monate dauernden
Perioden im Leseraum von Siah Armajani im Sinne eines
"anschaulichen Lesematerials" gezeigt. Toscani hat
mit diesen Plakaten Geschichte geschrieben. Durch die
intelligente Auswahl der Motive (Kriege, Katastrophen,
Krankheiten, Ausgegrenzte, Flüchtlinge, Armut) hat er auf
etwas für uns alle Verbindliches, Existenzielles
hingewiesen. Daß dies, quer durch die Kontinente, über
eine global agierende Bekleidungsfirma geschah, fanden viele
Menschen abstoßend. Jedoch haben sie offensichtlich die
Allgegenwart der uns täglich konditionierenden Werbung
vergessen oder verdrängt. Sie konnten die unerhörte
Stärke der Bilder und deren Kraft nur als Ausdruck einer
nackten Instrumentalisierung, als reinen Zynismus empfinden.
Da keine Zeitung, kein Fernsehkanal ohne Werbung existieren
kann, hat Toscani schlicht und einfach Bild und Firmenlogo
kurzgeschlossen, hat uns deutlich gemacht, daß wir ohne
Werbung die täglichen Nachrichten und Hiobsbotschaften aus
nahen und fernen Ländern gar nicht zur Kenntnis nehmen
könnten. Was Toscani ausdrücken wollte: Das Benetton-Logo
steht stellvertretend für Werbung überhaupt. Er wollte den
Stellenwert von Werbung in unserer heutigen Gesellschaft
dramatisch über herausragende Bilder deutlich machen.
Ein
letztes Wort in Sachen "Kunst und Kommerz"
betrifft all jene Kommunen, die aus strukturellen Gründen
Festspiel- und Musicalhäuser ins Leben rufen, um regional
ein populistisches Bedürfnis, durchaus auf hohem Niveau,
abzudecken. Vielleicht ist gerade hier die Verflechtung des
Künstlerischen und Kommerziellen am stärksten ausgeprägt.
Jedoch bin ich der Meinung, daß die Qualität das
entscheidende Kriterium darstellt. Ob Operette oder Musical,
die Performance muß höchsten Ansprüchen gerecht werden,
denn sie wird vom fernsehtrainierten Zuschauer eingefordert,
der das Ereignis "live", gruppendynamisch, visuell
und akustisch erleben will.
"Kunst
& Kommerz" ist ein Gerücht, von den Auswüchsen
abgesehen. Wer immer nur die Auswüchse sieht, lamentiert
über das halbleere Glas Wasser. Ich denke, wir sollten
über das halbvolle Glas Wasser reden. Und noch etwas: Die
Auswüchse gehen auf das Konto der Dummheit und Inkompetenz.
Die Erfolge zeugen von gegenseitigem Respekt, von
Sensibilität und Intuition für den mündigen Menschen,
wohin auch immer er sich hingezogen fühlt.