Dokumentation
der Diskussion zur "Kunst als Avantgarde der
Ökonomie"
Unter
der Moderation von Andreas Grosz diskutieren
Prof.
Dr. Jean-Christophe Ammann, Direktor des Museums für
Moderne Kunst in Frankfurt/Main
Prof.
Dr. Boris Groys, Professor für Philosophie an der
Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe
Alexander
Pereira, Indentant des Opernhauses Zürich
Prof.
Dr. Birger P. Priddat, Dekan der
Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der
Privatuniversität Witten-Herdecke
Michael
Roßnagl, Leiter Siemens Kulturprogramm
Andreas
Grosz: Wie stehen Sie zu der These von Boris Groys, der den
heutigen Künstler als vorbildlichen Konsumenten und damit
als Avantgarde der Ökonomie beschreibt?
Jean-Christophe
Ammann: Ich glaube, Boris Groys hat möglicherweise recht,
aber seine Betrachtungsweise ist eine kulturkritische und
hat mit Kunst wenig zu tun. Vielleicht verwechselt er sogar
Kreativität und Kunst. Die Kunst ist und bleibt eine
anthropologische Konstante. Kreativität ist etwas, was uns
allen eigen ist. Kunst ist ein Lebensentwurf. Ich glaube
nicht, daß sich daran etwas ändern wird - ob nun heute mit
Medien oder welchen Techniken auch immer gearbeitet wird.
Der Künstler ist als Wesen nicht abgekapselt. Er lebt in
der Gegenwart, er hat sogar den Auftrag, gewissermaßen
Gegenwart beispielhaft zu denken. Wenn Boris Groys sagt, der
Künstler sei eigentlich der erste Konsument, dann war er
das immer. Natürlich hat er die Bilder geschaffen, die wir
als Nichtkünstler zu jeder Zeit nicht schaffen konnten.
Aber letzten Endes ist ein braver Mann, der auf einem harten
Holz eine Madonna malt, eben nicht Dirk Bouts und er ist
auch kein Pieter Brueghel -von dem es eben nur Pieter
Brueghel den Älteren gibt, denn die beiden Söhne waren
lediglich gute Handwerker.
An
solchen Tatsachen kommt man nicht vorbei, und deshalb ist
Groys' Vorgehen ein kulturkritisches und eben nicht auf die
kÜnstlerische Praxis bezogenes Denken. Das Kunstwerk
nämlich ist zu jeder Zeit immer ein anschaulicher
Denkgegenstand, und da wird sich in Zukunft nichts ändern.
Birger
P.Priddat: Groys' These, Kunst komme nicht mehr als Arbeit
des Künstlers vor, sondern stelle den Rezipienten, den
Kunden der Kunst, in eine eigene Arbeit hinein, ist das
Kernthema der Kundenorientierung bei Unternehmen. Die
Wirtschaft entdeckt momentan, daß sie nicht nur Dinge
hinstellen muß, die dann gekauft werden, sondern daß sie
mit den Leuten in einer Weise kommunizieren muß, um
herauszufinden, was die Kunden wünschen. Der nächste
Schritt ist die Zusammenarbeit von Unternehmen und Kunden am
Produkt. Das findet schon statt, wenn Sie ihre Scheckkarte
in den Bankautomaten stecken. Sie werden nicht mehr von der
Bank bedient, sondern arbeiten selber für die Bank -
umsonst.
Jetzt
gehe ich noch einen Schritt weiter, weil wir ja Über Kunst
als Avantgarde der Ökonomie reden: Wir haben das
Unternehmen als Kulturagent. Das Unternehmen beginnt die
Gesellschaft in Gestalt von Kunden und Mitarbeitern und
damit sich selbst in ein neues Verhältnis zu stellen. Und
was ist das anderes als eine künstlerische Aktion?
Michael
Roßnagl: Leider bleibt Boris Groys' Kulturbegriff bei der
Kunst als Ware stecken. Der Inhalt wird bei ihm Überhaupt
nicht diskutiert -doch genau das ist es, was die Wirtschaft
interessiert: Was steckt hinter dem Werk? Wie kommt der
Künstler zu dieser Arbeit, warum zeigt er uns diese ganz
subjektive Haltung? Das Dahinterschauen ist das
Interessante, nicht die Ware an sich.
Gemeinhin
wird eine strikte Trennung zwischen Kultur und Wirtschaft
propagiert, ja die Forderung erhoben, sich nicht inhaltlich
einzumischen. Das tun wir aber. Wir mischen uns nicht in die
Inhalte der Künstler, aber wir kooperieren mit
Institutionen, wir diskutieren Begrifflichkeiten, wir kommen
zu gemeinsamen Lösungen. Und ich glaube, das ist das Thema
der Zukunft: Die Bereiche sind nicht mehr isoliert - hier
die Ökonomie, dort die Kunst. Es geht um eine neue Art von
gemeinschaftlichem Kulturverständnis.
Alexander
Pereira: Es gibt in der Bibel das berühmte Gleichnis von
den Talenten. Statt Talent möchte ich einmal von
Künstlertum sprechen. Wenn wir nach der Verbindung zwischen
Kunst und Ökonomie suchen, so ist es wahrscheinlich dieses
gemeinsame Künstlertum, das jeder einzelne in die
Verarbeitung eines Holzstückes hineinlegt oder in die
Leitung einer Bank oder in den abendlichen Auftritt als Don
Giovanni.
Und
doch gibt es einen Unterschied zwischen der Arbeit eines
Bankangestellten und der eines Opernsängers. Künstler sind
für die Gesellschaft besonders wichtig, weil in ihren
Werken Entwicklungen bis zu hundert Jahre im voraus
abzulesen sind. Die Kunst war schon immer gewissermaßen ein
Leuchtturm, ein Vorreiter der Gesellschaft. Warum war sie
das? Weil der Künstler sich an die Grenzen der eigenen
Persönlichkeit begibt. In dieser Grenzsituation nimmt er
alle um sich herum in die eigene Intuition mit auf. Und dann
erscheint ihm alles wie durch ein Vergrößerungsglas.
Egal
an welchem Schreibtisch oder auf welcher Bühne wir uns
befinden: Es geht immer um das Erreichen einer
höchstmöglichen Qualität. Und natürlich kann jede Firma
sich bemühen, das Beste aus ihren Mitarbeitern
herauszuholen. Aber das ist nur ein Teil. Menschen werden
nicht nur in ihrem eigenen Unternehmen beeinflußt, sondern
sie verbringen die Hälfte ihrer Zeit woanders. Dort
benötigen sie genauso Anregungen, das Beste aus ihren
Talenten zu machen. Dazu brauchen wir die Kunst oder die
Musik, die uns Kraft, Wärme, Stärke, Liebe, Zärtlichkeit,
Begeisterung, geistige Auseinandersetzung, mit anderen
Worten: Lebenskraft gibt, um die Schwierigkeiten, mit denen
wir jeden Tag zu kämpfen haben, Überwinden zu können.
Jean-Christophe
Ammann: Wo steht der Mensch in Zukunft? Das ist das
Entscheidende. Denn der Künstler ist auch ein Mensch. Und
auf das Individuum kommt Gewaltiges zu. Und in dem Moment
sind nicht die Trends das Entscheidende. Man muß auch
antizyklisch denken können. Trends sind ja heute so, daß
sie mehr ausschließen denn einschließen, weil sie
marktorientiert und trendorientiert eine
Wirklichkeitsdarstellung vermitteln wollen. Ich interessiere
mich für Dinge, die vielleicht jetzt gar nicht im Trend
liegen, und frage: Was ist denn das, der Mensch in Zukunft?
Der Mensch in Zukunft ist der Mensch, der Überhaupt nicht
mehr 400 Kanäle im Fernsehen anschauen will, sondern nur
drei.
Künstler,
die Information verarbeiten, haben Pech gehabt. Kunst und
Information haben nichts miteinander zu tun. Kunst und
Gegenwart haben miteinander zu tun. Das Schwierigste
Überhaupt ist, Gegenwart zu denken.
Andreas
Grosz: Herr Groys, Sie geraten so ein bißchen in die
Situation des postmodernen Philosophen, der die Kunst dem
Konsum preisgibt, mit Künstlern als Seismograph für den
hippesten Konsumrausch oder als Trendsetter.
Boris
Groys: Ich möchte den Standpunkt finden, von dem aus ich
fasziniert sein könnte. Und das ist nicht der Standpunkt
des Handwerks. Also frage ich mich, was bei dem einzelnen
Individuum besser ist, und das könnte dann auch die Kunst
unserer Zeit sein. Und ich wÜrde sagen, das Bessere könnte
die Konsumebene sein. Weil wir nach wie vor imstande sind,
interessant zu konsumieren. Es ist, wie Marx es geschrieben
hat: Die Produktion ist vergesellschaftlicht, aber der
Konsum bleibt mehr oder weniger individuell; und auf dieser
individuellen Ebene, die wir kontrollieren können, wo wir
wirklich etwas tun können, was unsere Individualität zum
Ausdruck bringt, da versuche ich das zufinden, was unsere
Zeit charakterisiert. Und das finde ich in der Kunst. Das
heißt, für die Künstler ist es mehr oder weniger egal
heutzutage, ob sie ihre Objekte selbst produziert haben in
handwerklicher Arbeit, ob sie diese zitiert haben, oder ob
sie fertige Objekte benutzt haben. Allein der Umgang mit den
Dingen bildet den Schwerpunkt des Interesses.
Das
ist der Konsum im wahrsten Sinne des Wortes. Die Benutzung
der Dinge ist interessant, nicht die Dinge selbst und wie
sie produziert werden.
Birger
P. Priddat: Herr Ammann spricht von Expertenkultur. Was Herr
Groys sagt, ist nichts anderes, als daß wir heute
expandieren können. Wir haben eine enorme Elastizität
dessen, was wir Kunst nennen, in den Bereich des Mediokren
hinein. Wenn ich genauer hingucke, was die Kunst als
Avantgarde für die Wirtschaft oder die Menge der
Unternehmen bedeutet, dann stelle ich fest: Diese Fragen
sind in der Theorie der Ökonomie noch gar nicht
reflektiert. Das bedeutet doch nur, daß der Übliche Weg
von Sponsorship -Unternehmen kaufen und fördern Kunst
-nichts mit Kunst als Avantgarde der Ökonomie zu tun hat.
Wo also begegnet uns eine solche Vorreiterrolle der Kunst
tatsächlich?
Diese
Vorhut findet im Bereich der Werbung statt, dort wo sie als
Videoclip oder als intelligente Story auftritt. Das sind die
modernen Formen von Kunst. Wechseln Sie mal die Perspektive.
Da wird in einer teilweise technisch brillanten Weise unter
Nutzung aller abendländischen Ressourcen Musik, Ton, Bild,
Farbe, Gedanke den Leuten etwas präsentiert, was für die
meisten Kinder kulturelle Ausbildung ist. Und das muß man
ernst nehmen.
Ich
denke, daß die Ökonomie eine gewisse Verantwortung hat,
wenn sie die Werbung einsetzt. Sie soll sie nicht begrenzen,
aber wissen, was sie tut. Und sozusagen dieses Ding
kultivieren und pflegen und erweitern. Das ist für mich die
erste Produktion von Kunst in Unternehmen. Oder gekaufte
Produktion von Unternehmen.
Jean-Christophe
Ammann: Das ist ja in Ordnung. Diese Ausdehnung, die Sie
angesprochen haben, die erlebe ich genauso spannend. Gerade
in der Modefotografie passiert Senationelles. Wenn die
Klamotten hinter den Frauen herrennen, weil der Frauentypus
die entscheidende Message ist -das finde ich großartig. Wo
ich natürlich interveniere, ist bei der Behauptung, die
Person, die Werbung mache, mache Kunst. Der Künstler ist
noch mal was ganz anderes. Wir reden, angestachelt durch
Boris Groys, zu stark von der Rezeption. Ich glaube, als
jemand, der von der Kunst kommt, muß man auch mal von der
Position des Künstlers ausgehen und sagen: Der geht einen
anderen Weg.
Birger
P. Priddat: Sie reden Über Kunst, und das ist auch völlig
richtig, und Sie sagen auch kluge Sachen dazu. Nur, wenn die
Ökonomie kommt, dann haben Sie als Künstler erst mal nicht
viel zu melden, außer die Vorstände sind selber gebildete
Leute und kaufen Ihre Bilder. Wo tritt denn eigentlich
wirklich die Avantgardefunktion der Ökonomie auf? Das kann
doch nur da sein, wo die Ökonomie in Massen Geld
investiert. Ich will herausfinden, wo der Ort ist, an dem
die Ökonomie, das heißt die Unternehmen, die Manager,
alle, die entscheiden, selber Kunst brauchen für ihre
Arbeit oder selbst in irgendeiner Weise Künstler werden.
Das wäre für mich die Diskussion. Dazu wurde bisher zu
wenig gesagt.
Boris
Groys: Die Künstler der klassische Avantgarde, der
historischen Avantgarde, sind für uns ökonomische
Märtyrer. Das waren gute Künstler, die ihre Werke nicht
verkaufen konnten. Und plötzlich kosten diese Werke, also
irgendwelche Quadrate, Dreiecke, Millionen von Dollars. Ist
das nicht die Avantgarde der Ökonomie?
Firmen
haben Schwierigkeiten, ihre Produkte, etwa Toiletten, zu
verkaufen. Und jetzt verkauft man für Millionen Dollars
Drei- oder Vierecke. Das ist eine unglaubliche ökonomische
Leistung. Ich würde sagen, wer Überhaupt in diesem
Jahrhundert wirklich eine ökonomische Leistung vollbracht
hat, das waren die Künstler der klassischen Avantgarde.
Wenn
wir den Begriff Kunst jetzt weiter fassen, dann müssen wir
uns fragen: Was ist in diesem Sinne die Avantgarde der
Ökonomie generell?, und ich würde sagen, die Avantgarde
der Ökonomie ist dort, wo neue Ideen, neue Produkte, neue
Formen angeboten werden, von denen man noch nicht weiß,
daß sie nötig sind. Von denen man auch nicht weiß, wie
sie verwendet werden können, wie es einmal beim Computer
war oder beim Internet.
Alexander
Pereira: Ich möchte der These kräftig widersprechen, daß
der Künstler als Großverdiener eine Errungenschaft dieses
Jahrhunderts sei. Das ist ein absoluter Quatsch. Wagner hat
ein Vermögen für seine Aufträge bekommen. Beträge, die
Sie sich heute Überhaupt nicht vorstellen können. Das
gleiche gilt für Verdi. Es hat immer Künstler gegeben,
denen man nachgelaufen ist und denen man das Geld
nachgeworfen hat. Und das ist heute genauso.
Tausend
Menschen müssen heute Gesang studieren, damit einer
engagiert
wird.
Stellen Sie sich vor, das wäre bei den Rechtsanwälten und
Ärzten genau- so. Das Künstlersein ist heute genauso
risikoreich wie damals. Selbstverständlich gibt es immer
ein paar Leute, die dabei viel Geld verdienen. Es kommt doch
auf das Verhältnis an zwischen denen, die sich um Erfolg
bemühen, und denen, die tatsächlich reüssieren.
Andreas
Grosz: Beschäftigen sich eigentlich Ökonomen systematisch
mit Fragen dieser Grenzüberschreitung zwischen Kultur und
Wirtschaft?
Birger
P. Priddat: Das sind natürlich Randthemen, die erst dann
eine allgemeinere Bedeutung bekommen, wenn die Konstitution
und Wirkungsweise von Märkten verschiedener Kulturen
ansteht, wenn man es also mit unterschiedlichen Auffassungen
von Verträgen und Management zu tun hat. Hier beginnt eine
Öffnung der Ökonomie, die nicht nur mit Mengen oder
Preisen kalkuliert, sondern ihre Kulturbedingtheiten in
Augenschein nimmt.
Und
ein Weiteres: Wenn ein Markenname eine symbolische Aufladung
bekommt, so wie Camel das Symbol für freie Männer in
Wüstenlandschaften oder was immer ist, dann nutzt die
Ökonomie plötzlich Ressourcen eines kulturellen oder
künstlerischen Kontextes. Natürlich erst mal, um Geld zu
machen. Aber darin spiegelt sich etwas, was Über das
Geldmachen hinausgeht.
Michael
Roßnagl: Ein Produkt hat meist seine Wirkung in einem
bestimmten Kulturkreis. Und es ist äußerst komplex, dies
darzustellen. Ein Unternehmen hat es ja nun geschafft,
weltweit braune Brause zu verkaufen. Das ist herausragend,
wie diese Firma es erreicht hat, sozusagen eine kulturelle
Identität weltweit herzustellen. Die haben sich sehr genau
angesehen, wie dies zu bewältigen ist. Sie haben
hineingesehen in eine Avantgarde. Das ist meiner Ansicht
nach bestens gelungen. Ob das andere so wollen oder ob das
notwendig ist, möchte ich bezweifeln.
Alexander
Pereira: Wenn wir uns die Frage stellen, warum die Kunst ein
Vorreiter der Gesellschaft ist, so zeigt sich, daß der
Staat sich Über Jahrzehnte, insbesondere in der zweiten
Hälfte dieses Jahrhunderts, Über das Sozialwesen, den
Sport, die Künste profiliert hat. Dabei hat er ziemlich
radikal Privatleute, Liebhaber und die Wirtschaft
ausgeschlossen.
Jetzt
merkt der Staat, daß ihm das Geld ausgeht, und wünscht
sich eine mündige Gesellschaft, welche die Kultur aus ihrer
Tasche bezahlt. Doch wir haben die verdammte Pflicht und
Schuldigkeit, unsere Kulturleistungen in ihrer
bestmöglichen Form zu erhalten.
Wir
müssen eine neue Solidarität der Gesellschaft kreieren,
bei der Wirtschaft, Politik und der einzelne Bürger
zusammenwirken. Dann wird ein Stück Gemeinsamkeit
trainiert, das auch die Chance birgt, insgesamt eine bessere
Gesellschaft zu bekommen. Somit ist also die Finanznot der
Kulturinstitutionen - ich bitte, das nicht zynisch
aufzufassen - wieder nur die Vorhut einer größeren Krise.
Wenn wir das Problem im Bereich der Kunst lösen, werden wir
es auch in anderen Bereichen der Gesellschaft lösen
können.
Jean-Christophe
Ammann: Unternehmer, Banker hetzen von einer
Umstrukturierung in die andere, und noch nie hat es so viele
Unternehmensberater gegeben wie heute. Was machen die denn
anderes, als wie Künstler in Modellen und Strategien zu
denken? Die müssen genauso schöpferisch, ja innovativ
sein. Was Künstler tun, davon können wir nur lernen, wenn
wir uns weniger mit den einzelnen Objekten, die wir
vielleicht begehren, auseinandersetzen, sondern uns
auseinandersetzen mit dem darin offenbarten bildnerischen
Denken, mit der Modellhaftigkeit, die ihm zugrunde liegt.
Birger
P. Priddat: Warum gehen Sie, Herr Ammann, nicht als Berater
in die Wirtschaft? Wenn Sie dort mit Ihrem künstlerischen
Denken irritieren, dann schaffen Sie der Kunst eine breite
Fahrspur. Dann beginnt Kunst in einer Weise in der
Gesellschaft nachzuwirken, die ganz anders ist als die
Nachwirkungen eines Museums- oder Opernbesuchs.
Wir
müssen die Diversität der Kunst respektieren. Aber wir
müssen wissen, was sie bringt. Wenn wir durch
künstlerische Denkmodelle eine neue Wahrnehmung von uns
selbst und der Welt bekommen, wenn Kunst das auf breiter
Basis leistet, dann haben Sie einen neuen Markt eröffnet.
Alexander
Pereira: Aber das alles geht nicht ohne Qualitätsanspruch.
Wir können eben nicht alles grundsätzlich und beliebig zur
Kunst erklären, nur weil es jetzt gerade wirtschaftlich
oder konsumtechnisch oder sonstwie opportun ist. Es gibt,
und es wird immer geben, ganz klare Gesetze, die Kunst von
Kunsthandwerk unterscheiden.
Wenn
ich meinen "Don Giovanni" so mittelmäßig wie
möglich produziere, weil er dann schön billig ist oder gut
ankommt, dann gewöhne ich den Menschen ab, in sich selber
um Qualität zu kämpfen. Dort ist doch das Problem.
Jean-Christophe
Ammann: Die schöpferische Eigenkompetenz dessen, was das
höchste Kapital der Unternehmen ist, nämlich die
qualifizierten Mitarbeiter, ist doch heute ganz anders
gefordert - und zwar im besten Sinne. Mitarbeiter sind
gefordert, nicht nur die Ideen aus dem eigenen Bereich zu
generieren, sondern Ideen von außen hereinzubringen.
Konfrontiert man sie mit Kunst, wie Siemens das zum Beispiel
tut, dann werden die Leute neugierig, dann nehmen sie die
Modelle, Werke, schöpferischen Prozesse auf und bringen sie
auch wieder in das Unternehmen zurück, weil es Freude
macht.
Oder
liege ich damit ganz falsch, Herr Roßnagl? Wie ist denn die
Innenwirkung Ihres Kulturprogramms auf das Unternehmen?
Michael
Roßnagl: Ich glaube, der Vorstand würde mir keine Mark
anvertrauen, wenn er nicht glaubte, daß unsere Aktivitäten
eine besondere Wirkung nach innen haben. Ein Standbein des
Siemens-Kulturprogramms ist die Vermittlungsarbeit. Man kann
jedoch nicht nach Gutsherrenart darangehen: Der Direktor
entscheidet, was Kunst ist. Man muß diese Fragen wirklich
bearbeiten, dann erzeugen sie im Unternehmen vitales Leben.
Wir haben einen wunderbaren Austausch.
Die
alte Masche - die Firma hat zu zahlen, die Kunst hat das
Kritik- und das Moralrecht - ist passé. Ich wünsche mir
eine konstruktive Auflösung dieses radikalen Schnitts. Es
geht um Qualität, für die jedes Unternehmen bereit ist zu
kämpfen.
Boris
Groys: Ich möchte mit einem allgemeinen Eindruck von
unserem Gespräch schließen: Diejenigen, die mehr aus der
Perspektive der Kunst denken, sind auch zu mehr Kritik und
Skepsis bereit, auch in bezug auf Ästhetische und
moralische Werte. Die Kunst versteht sich heute als der Ort,
an dem alle Werte in Frage gestellt werden, neu entworfen,
hinterfragt und dann wieder gerettet werden. Dieses Bild,
daß die Kunst etwas beschließt, es unreflektiert scheinbar
eindeutig positioniert, ist nicht richtig. Kunst ist der Ort
der maximalen Unsicherheit in unserer Zivilisation und
deswegen so faszinierend.
Die
Diskussion fand als Abschluß des von Andreas Grosz und
seinem Büro für Unternehmenskommunikation und dem
"Rheinischen Merkur" konzipierten Projektes
"Kunst als Avantgarde der Ökonomie. Neue Wege der
Zusammenarbeit zwischen Kultur und Wirtschaft" am
10.11.1998 im Kölner KOMED statt.