Deutschland
am ausgehenden 20. Jahrhundert: 4,5 Millionen registrierte
Arbeitslose, eine Staatsquote von über 48 Prozent, kaum mehr
zu finanzierende Sozialsysteme, Steuerbelastungen für
Mittelständler, die sich nicht selten auf 65 Prozent
summieren. Auf der anderen Seite rollt das Ungetüm der
Globalisierung heran, bedroht des Errungene, sorgt für Angst
und Schrecken und läßt den Ruf nach staatlicher Hilfe lauter
werden. Dieses mal hallt der Ruf auch hinaus nach Europa, wo
sich ein größerer und weitaus mächtigerer Schutzwall in
Form der Europäischen Gemeinschaft gegen die vitale und
motivierte Konkurrenz aus Südost-Asien und allmählich auch
aus Mittel- und Osteuropa bildet.
Vital
und motiviert war Deutschland auch einst, als es antrat, als
Wirtschaftswunderland die Welt zu erobern. Das Land durchzog
eine Kultur des Aufbruchs. Heute beklagen alle die Kultur der
Ideenlosigkeit.
Woraus
resultiert diese Lethargie? Ist sie das zwangsläufige
Ergebnis eines wohlsituierten Wohlfahrtstaates? Das Land der
Dichter und Denker scheint nicht mehr denken zu wollen. Denken
bedeutet, an etwas positiv oder negativ Anstoß zu nehmen, es
zu hinterfragen, etwas anderes mit dem Wahrgenommenen zu
verbinden und in der Kombination des Erfahrenen etwas Neues zu
entdecken.
Wer
kreativ denken will, braucht also Inspiration. Und genau an
dieser Stelle will das Buch ansetzen. Die Suche nach dem
notwendigen, schöpferischen Potential verlangt gerade zu
danach, neue Verbindungen zu wagen, etwa die von Wirtschaft
und Kultur. Je größer die Konkurrenz auf den Märkten ist,
desto intensiver muß sich das einzelne Unternehmen auf die
Suche nach dem Neuen machen. Je mehr Kreativität gefragt
wird, desto stärker muß das Ungewöhnliche, das Fremde
Anstöße zu Ideen geben. Diese Anstöße brauchen die
Mitarbeiter. Sie sind die Denker im Unternehmen und vor allem
in modernen Volkswirtschaften
Warum
also sollte Wirtschaft mit der Kultur des Landes, in der sie
sich bewegt, nicht einen offenen Dialog eingehen? Warum
öffnen Unternehmer nicht ihre Betriebspforten und lassen
Künstler und Kulturschaffende hinein, um deren Gedanken und
Ergebnisse eignener Kreativität den Beschäftigten zu
präsentieren?
Daß
Unternehmen nicht frei von Umwelteinflüssen sind, hat die
Wissenschaft bereits in den achtziger Jahren festgestellt.
Schnell machte daraufhin der Begriff der Unternehmenskultur
die Runde. Gleichzeitig fand auch das klassische
Kultursponsoring seinen Höhepunkt: Das Unternehmen finanziert
eine Veranstaltung und kassiert dafür positives Image, was
sich bestenfalls in den Verkaufszahlen niederschlägt.
Kreativ
war dieses Vorgehen zu keiner Zeit; den Mitarbeitern - und
damit der Fortentwicklung des Unternehmens - jedenfalls nutzt
diese Art des Umgangs mit Kultur nicht. Denn die Kreativität
des Künstlers bekommt die Belegschaft nicht zu Gesicht, ja
oft wissen sie nicht einmal, was und warum die Firma konkret
unterstützt.
Kunst
und die Wirtschaft gehören da auf den ersten Blick nicht
zusammen. Wer alleine in der Kategorie Geld denkt, muß sogar
zu dem Schluß kommen, daß beide Systeme diamtetral
zueinander stehen. In diesen Mustern zu denken hilft also
nicht weiter. Versprechender ist ein Denkmuster, mit dem sich
der im vergangenen Jahr verstorbene Begründer der modernen
Systemtheorie, Niklas Luhmann, weltweit enormes Renomée unter
den Soziologen und über diese Disziplin hinaus erwarb. Er
unterteilte Gesellschaft in soziale Systeme, die alle ihrer
eigenen Logik folgen. Danach legt weder Wirtschaft fest, wie
sich Kunst entwickelt, noch bestimmt Kunst die
Wirtschaftswelt. Das gilt ebenso für die sozialen Systeme
Politik, Recht etc. Die moderne Gesellschaft zeichnet sich
geradezu dadurch aus, daß es weder eine Spitze noch ein
Zentrum gibt.
Weil
in der klassischen Theorie Geld als entscheidender,
differenzierender Faktor zugrunde gelegt wird, beharren in der
Praxis (aus Angst, doch beeinflußt zu werden) etliche auf der
Trennung der scheinbar konträren Bereiche Kunst und
Wirtschaft: Künstler, die zwar für alles offen sind, aber
auf keinen Fall in materielle Abhängigkeiten geraten wollen;
Unternehmer, für die in ihrem Beruf nichts befremdlicher
wirkt als Irrationalität.
Daß
es doch einen näheren Zusammenhang gibt, obwohl selbst die
Moral und Logik der Beteiligten gegen diesen Versuch sprechen,
zeigt der bekanntlich genauere zweite Blick. Zunächst die
Theorie: Die Leistungsfähigkeit der sozialen Systeme sieht
Luhmann vor allem darin, daß sich ihre Kommunikation allein
auf sich selber bezieht. In der Politik heißt das Leitbild
Macht, in der Wirtschaft ist es die Zahlung. Damit die
jeweilige Eigendynamik aber nicht zum Stillstand kommt, finden
immer wieder Kontakte mit anderen Systemen statt. Dabei geht
es eben nicht darum, daß der eine den anderen
instrumentalisiert. Weder bestimmt Politik die Wirtschaft,
noch dominiert in der Praxis Wirtschaft die Kunst, noch kann
Kunst jemals führenden Einfluß auf Wirtschaft nehmen. Alle
können sich aber gegenseitig befruchten, so daß am Ende die
durch die Geschlossenheit bedingte Öffnung nicht nur
Automobilhersteller, High-Tech-Firmen oder Maschinenbauer
hervorruft, sondern sogar geistige Formen einer Kultur AG
schaffen kann. Sie konstituiert sich aus dem künstlerischen
Potential innerhalb der betrieblichen Leistung , das Teil der
Kultur ist.
Dies
alles erfordert aber, daß niemand den Kontakt zur Aussenwelt
scheut, sich ebenso wenig vor Veränderung fürchtet, ja sie
sogar selber befördert, um letztlich voranzukommen.
Diejenigen, die genau dies vermeiden - und davon gibt es zu
Zeit leider viel zu viele - konservieren und verlieren.
Diese
Strategie des Bewahrens ging lange genug gut. Seit einigen
Jahren aber überfällt das Neue die Wirtschaftswelt derart,
daß sich Ökonomen, Manager und Unternehmer unweigerlich
umstellen müssen. Die Wirtschaftstheorie kann derzeit keine
praxisnahen Lösungen anbieten. Dafür klammern sich Manager
inzwischen an eigens für sie kreierte Moden, die sich
verkaufen wie warme Semmeln: "Total Quality
Management" und "Business Reengineering" oder
"Lean Management" lauten nur einige der
Zauberformeln neuer, pseudowissenschaftlicher Literatur, die
am Ende in Gegenentwürfen als "Unternehmensführung
jenseits der Managementmoden" (Eileen C. Shapiro)
gipfeln. Die Illusion, über derartige Anleitungen Anregungen
für das eigene unternehmerische Schaffen zu bekommen,
verkehrt ins Gegenteil - Firmen imitieren Trends anstatt
eigene zu setzen.
Dafür
sehen die Managementriegen der Großkonzerne ihr Heil in
Fusionen, um über Größe auf globalen Märkten zu bestehen.
Der Konzentration auf die Synergieeffekte folgt oft genug
kurze Zeit später die "Konzentration auf die
Kernkompetenzen".
Weniger
bekannt sind all jene Unternehmensgeister, die mit dem Begriff
"hidden champion" oder "Entrepreneur"
belegt werden. Sie setzen Originalität gegen Imitation. Ein
Beispiel ist die Firma FSB, die sich intensiv mit Design
beschäftigt und so die ordinäre Türklinke zu einem
Kulturgegenstand entwickelt hat. Modernes Wirtschaftsleben
bestimmt sich immer wieder über das Neue. Warum aber kommt es
dann nicht zu immer neuen Versuchen?
"Wissenschaft
fragt, warum etwas so ist. Kunst fragt nie warum, sie sagt, es
ist so oder so, seht oder hört euch doch nur an, wie es
ist", erklärte der Maler August Macke Anfang des 20.
Jahrhunderts sein Genre. Künstler beobachten sehr genau,
blenden das Bekannte aus und kehren das Abseitige hervor, ganz
gleich, ob ihre Darstellung nachher kubistisch, verklärt
romantisch oder expressionistisch ist. Sie erkennen
Strömungen oft lange vor anderen, sind Avantgardisten und
halten der Gesellschaft auf ihre Art den Spiegel vor. Ist es
nicht selbstverständlich, daß Manager, Unternehmer und
Existenzgründer solche Vorteile nutzen, sich mit Vor- und
Querdenkern auseinandersetzen?
Versucht
man mit Wirtschaftlern das Thema Kulturförderung zu
diskutieren, kommt es häufig schnell zu der Frage: "Wozu
nutzt das?" Alleine die Frage setzt falsch an und deshalb
gibt es auch keine befriedigende Antwort. Und doch können
alle Gesellschaftsteile und damit auch und vor allem die
Wirtschaft Kunst nutzbar machen, auch wenn sich Kunst selber
nicht über Nutzen definiert. Dagegen macht sie Angebote, daß
man etwas anders machen kann. Sie bietet Alternativen, andere
Sichtweisen. Sie macht mit den Worten Luhmanns "die Welt
in der Welt" sichtbar. "Die Kunst weist darauf hin,
daß der Spielraum des Möglichen nicht ausgeschöpft ist, und
sie erzeugt deshalb eine befreiende Distanz zur
Realität."
Nichts
anderes machen Existenzgründer: Sie wagen Experimente und
haben oft genug Erfolg. Auf ihnen liegt heute alle Hoffnung,
um den Sprung in das nächste Zeitalter zu schaffen.
Allerorten werden milliardenschwere Förderprogramme aufgelegt
in der Hoffnung, daß schon wenige Jahre später unzählige
Arbeitsplätze in sogenannten Zukunftstechnologien entstehen.
Existenzgründer haben die Distanz zur Realität, die sie
brauchen, um das Neue sehen zu können, so wie der Künstler.
Die Kombination von beidem beschreibt Alexander Nicolai.
Gründer die ihre Herkunft nicht vergessen und es verstehen,
nicht zum Establishment zu werden, haben auch auf lange Sicht
den nötigen Erfolg.
Daß
die Besinnung auf das Bekannte, auf das Vertraute im
turbulenten, ausgehenden 20. Jahrhundert nicht weiterhilft,
wissen und sprechen mittlerweile alle aus. Jetzt geht es
darum, dieser Einsicht Taten folgen zu lassen. Eine Welt in
der Welt zu erkennen und für sich zu erobern kann dabei eine
intelligente Form der Kunstförderung sein, fern ab des
überkommenen Kultursponsorings der achtziger Jahre. Dieses
Buch will einige Anregungen dazu geben.
Daniel
Delhaes im Dezember 1998