Das
Kunstsystem fühlt sich heutzutage etwas unwohl. Seinen
Repräsentanten fällt es zunehmend schwer, sich vis à
vis der Außenwelt mittels der traditionellen
Legitimationsstrategie zu behaupten, der zufolge die
Kunst etwas besonders wertvolles, exklusives und
erhabenes darstellt. Der Anspruch der Kunst auf die
gesellschaftliche Exklusivität wurde lange Zeit durch
die Behauptung begründet, daß im Kunstsystem Dinge
hergestellt, ausgestellt, verkauft, gekauft und
kommentiert werden, die von besserer Qualität sind, als
alle anderen Dinge. Kunstwerke sind demgemäß Unikate,
die allein dafür geschaffen werden, bewundert zu sein -
und nicht, wie alle anderen Dinge, bloß im
Arbeitsprozess oder im Alltag benutzt zu werden, um am
Ende ihrer Tage im Müll zu landen. Die Kunstwerke
bilden traditionell sozusagen eine Aristokratie unter
den Dingen.
Die
Qualität eines Kunstwerks wird dementsprechend anders
bestimmt als die Qualität jedes anderen Dinges.
Allgemein versteht man unter der Qualität eines Dinges
seine Tauglichkeit, seine Fähigkeit, effektiv verwendet
zu werden. Diese Qualitätskriterien gelten aber nur
für die profanen Dinge. Die Qualität eines Kunstwerks
wird dagegen - so wie früher die aristokratische Würde
- allein von seiner Herkunft abgeleitet, wobei der
Begriff "Herkunft" allerdings seine Bedeutung
mit der Zeit mehrmals geändert hat. Dementsprechend hat
sich auch die Art, wie die Qualität eines Kunstwerks
bestimmt wird, mit der Zeit geändert. Die Feststellung
einer hohen, exklusiven Qualität hat längere Zeit
bedeutet, daß das Kunstwerk aus besonders wertvollen
Materialien gemacht wurde, wie Gold, Silber oder Marmor,
und daß die Bearbeitung dieser Materialien besonders
präzise, fein und bewundernswert war.
In
der Moderne hat sich aber allmählich eine andere
Bestimmung der Herkunft durchgesetzt. Das Kunstwerk
mußte jetzt einen genialen Künstler als Vater haben,
um von hoher Qualität zu sein. Die Wertschätzung eines
individuellen Kunstwerks im modernen Kunstsystem basiert
im wesentlichen auf seinen Herkunftsurkunden, auf dem
Nachweis, daß es dem Genie eines bedeutenden Künstlers
entstammt. Man könnte sich sicherlich fragen: Wie wird
man ursprünglich zu einem Genie? Aber die gleiche Frage
könnte man auch den aristokratischen Familien stellen:
Wie wird man ursprünglich zu einem Aristokraten? Wir
wissen, daß es keine eindeutige Antwort auf diese Frage
gibt. Man kann sagen: Durch glorreiche Siege, staatliche
Verdienste, richtige Verbindungen, geschickte Verbrechen
- auf jeden Fall irgendwie historisch, verborgen in der
Dunkelheit der vergangenen Zeiten.
Das
eigentliche Problem des heutigen Kunstsystems besteht
allerdings nicht darin, daß einzelne
Künstler-Reputationen in Frage gestellt werden. Der
grundlegende Mythos vom Künstler als Schöpfer, als
Kreator, als Vater seiner Werke ist inzwischen verblaßt
und unglaubwürdig geworden. Wir wissen nämlich, daß
heute in allen Bereichen des Lebens, inklusive der
Kunst, die Re-produktion über die Produktion
triumphiert. Keiner ist imstande zu behaupten, daß er
am Ursprung seines Werks steht, daß er Bedeutungen,
Intentionen und Formen originär produziert und in die
Welt setzt. Die Gegenwartskunst hat ebenfalls schon
längst aufgegeben, einen solchen Anspruch auf die
Originarität aufzustellen. Der heutige Künstler
zitiert, re-produziert und verwendet immer schon
existierende Dinge - und er tut es explizit. So stellt
sich die Frage: Warum und inwieweit sollen Kunstwerke
als besondere, exklusive, aristokratische Dinge
behandelt werden, wenn ihre Herkunft genauso anonym,
profan und dunkel ist als diejenige aller anderen Dinge.
Diese Frage bringt das gegenwärtige Kunstsystem
insgesamt in Mißkredit und läßt die Gegenwartskunst
für viele als eine Art Schwindel erscheinen. Der
entsprechende Verdacht wurde schon von vielen namhaften
Autoren, wie etwa Jean Baudrillard, geäußert und durch
die Feuilletons der großen Zeitungen weit verbreitet.
Und in der Tat: Wenn der Verdacht stimmt und es keine
aristokratischen Dinge mehr gibt, weil alle Dinge den
gleichen, anonymen Ursprung haben - dann sollte man die
Institution Kunst zunächst entlarven und danach
abschaffen, wie man seinerzeit die Institution
Aristokratie abgeschafft hat.
Nun
bringt uns dieser Verdacht aber auf die anfängliche
Frage zurück: Wie und nach welchen Kriterien man die
Herkunft eines Kunstwerks bestimmten soll? Beim genauen
Betrachten fällt nämlich auf, daß die übliche
Gleichsetzung zwischen Herkunft und Produktion mehr als
naiv ist. Die Frage danach, welche Herkunft ein Ding
hat, und die Frage danach, wer dieses Ding produziert
hat, sind keineswegs zwei identische Fragen. Die
Kunstwerke aus den alten, vormodernen Zeiten, die wir in
unseren Museen gesammelt und ausgestellt sehen, sind
dort nicht, weil sie den berühmten Produzenten
entstammten - denn die Künstler galten in diesen alten
Zeiten nur als Handwerker, als Diener und blieben
meistens unbekannt - sondern weil diese Kunstwerke
früher von der Aristokratie in ihren Palästen, oder
bei den sakralen Zeremonien gebraucht worden waren. Es
war also nicht die Abstammung im Sinne einer Vaterschaft
durch den Produzenten, sondern ein bestimmter -
aristokratischer oder sakraler - Gebrauch, der diese
Dinge ursprünglich geadelt und zu den Kunstwerken
gemacht hat.
Historisch
ist ein solcher aristokratischer Gebrauch der Dinge für
die ganze Kultur - und für die ganze Ökonomie - immer
von zentraler Bedeutung gewesen, denn jede Ökonomie
kommt letztendlich in eine Sackgasse, wenn sie sich
ausschließlich an die profanen Bedürfnisse der
Menschen orientiert. Die sogenannten
"natürlichen" menschlichen Bedürfnisse sind
nämlich äußerst begrenzt - und sehr leicht zu
befriedigen. Eine entwickelte Ökonomie kann sich nur
dann weiter steigern, wenn sie die natürlichen
Bedürfnisse des Menschen übersteigt, wenn der
Konsument seine natürlichen Bedürfnisse konsequent
durch künstliche, frei erfundene Wünsche ersetzt -
wenn er beginnt, nach dem Unnötigen, Überflüßigen,
Luxuriösen zu streben.
Früher
war es die gesellschaftliche Funktion der Aristokratie,
einen innovativen und zugleich vorbildlichen Konsum zu
betreiben und ständig neue, künstliche, exquisite
Bedürfnisse zu erfinden, an denen sich die Produktion
orientieren könnte. Der traditionelle
Künstler-Handwerker hat diese aristokratischen,
künstlichen Wünsche durch seine Produktion lediglich
befriedigt. Und in diesem Sinne war seine Leistung
sekundär, obwohl er dabei als Produzent seiner Werke
fungierte. Wir alle wissen: Die Nachfrage schafft das
Angebot. Das bedeutet aber zugleich: Der Gebrauch
bestimmt die Produktion. Der Konsum ist primär, und die
Produktion ist sekundär. In diesem Sinne hat ein Ding
erst dann Qualität eines Kunstwerks, d.h. eine richtige
Herkunft, wenn dieses Ding einem aristokratischen,
innovativen, exklusiven Gebrauch entstammt. Der Akt der
Produktion ist dabei viel weniger relevant. Und ich
möchte jetzt behaupten, daß das heutige Kunstsystem
nichts anderes ist als eine Ersatz-Aristokratie, d.h.
ein Ort, an dem Dinge weniger produziert als auf eine
für die Gesellschaft vorbildliche Weise gebraucht,
konsumiert werden.
Das
Bürgertum hat fast gleich nach der Abschaffung der
traditionellen gesellschaftlichen Stellung der
Aristokratie durch die Französische Revolution
begriffen, daß die Erweiterung der Ökonomie auf die
Massen und auf ihre natürlichen Bedürfnisse, die
Jean-Jacques Rousseau seinerzeit gepredigt hat, für die
Entwicklung der modernen Ökonomie nicht ausreicht. Die
Nachahmung der Lebensweise der untergegangenen
Aristokratie begann unmittelbar nach der Französischen
Revolution, wobei die Künstler hier von Anfang an
eindeutig eine Vorreiterrolle spielten. Schon Dichter
und Künstler der Romantik entwickelten den Kult der
Verschwendung, des Luxus, des feinen, exklusiven Lebens,
des ungewöhnlichen Geschmacks. Darauf folgten
unterschiedliche Varianten des Dandysmus und der
Decadance, die alle das Ziel verfolgt haben, immer neue
Formen des unnatürlichen, "kranken", frei
erfundenen Begehrens zu entwickeln. Der Künstler wurde
zum Sonderbeauftragten der modernen Ökonomie für
Erfindung und Entwicklung der neuen Konsumwünsche, zu
denen übrigens auch der Wunsch nach Einfachheit,
Schlichtheit, Askese gehört.
Lange
Zeit blieb die gesellschaftliche Stellung des modernen
Künstlers allerdings höchst ambivalent. Zwar ist er zu
einem Ersatzaristokraten, zu einem exklusiven,
vorbildlichen Konsumenten geworden. Aber er hat dabei
nicht aufgehört, ein Produzent, ein Arbeiter, ein
Handwerker zu sein. Diese Ambivalenz hat den modernen
Künstler ständig irritiert und innerlich gespalten, da
er Produkte seiner Arbeit anbieten und verkaufen - und
zugleich den gesellschaftlichen Gebrauch dieser Produkte
diktieren mußte. Der moderne Künstler empfand sich
gleichzeitig als Herr und als Knecht der bürgerlichen
Gesellschaft. Daraus entstanden viele (innere und
äußere) Spannungen, Risse und Konflikte, die
bekanntlich die inzwischen geschichtlich gewordene Figur
des modernen Künstlers geprägt haben.
Der
paradigmatische Künstler von heute ist dagegen weniger
ein Produzent, als vielmehr ein exklusiver,
vorbildlicher Konsument der anonym produzierten und in
unserer Kultur immer schon zirkulierenden Dinge. Man
kann behaupten, daß im heutigen Kunstsystem nicht mehr
neue Produkte, sondern allein neue Haltungen,
Konsummuster und Wünsche entstehen. In der heutigen
Kunst wird der Konsum erfunden, der durch die
Gesellschaft noch einmal konsumiert wird. Die Kunst
steht heute nicht mehr am Ursprung des Kunstwerks,
sondern an seinem Ende. Sie ist nicht mehr die Schaffung
der Dinge, sondern ihre exklusive Verwendung - wobei
eine solche Verwendung eventuelle künstlerische
Bearbeitung und Umgestaltung der Dinge sicherlich
miteinschließt. Gerade die erfolgreichsten Künstler
unsere Zeit verwenden das allgemein zugängliche,
mediale Bildergut, das vor allen Augen anonym entsteht.
Der Künstler demonstriert damit, wenn er erfolgreich
ist, die Möglichkeit, den Verlust der Autorenschaft zu
verkraften, indem er die serielle, anonyme,
unpersönliche Bild- und Dingproduktion so gebraucht,
daß dieser Gebrauch von der Gesellschaft als
individuell, persönlich, originell anerkannt wird. Die
Signatur eines Künstlers bedeutet nicht mehr, daß der
Künstler einen bestimmten Gegenstand produziert hat,
sondern daß er diesen Gegenstand verwendet hat - und
zwar auf besonders interessante Art und Weise.
Als
theoretische Voraussetzung für diese Umwandlung des
Künstlers aus einem genialen Produzenten in einen
vorbildlichen, aristokratischen Konsumenten diente
bekanntlich die postmoderne Kritik am Begriff der
Kreativität. Dabei ist es besonders interessant und
für die ideologischen Mechanismen der modernen
Gesellschaft sehr charakteristisch, daß diese Kritik
zunächst einem völlig anderen politischen Entwurf
folgte, als dem, aus dem Künstler einen
Ersatz-Aristokraten zu machen. Die Kritik an der
Auratisierung der Kunstproduktion hatte nämlich
zunächst einmal das Ziel, den Künstler zu entthronen
und ihn den anderen modernen Produzenten gleich zu
stellen. Die berühmte Forderung der historischen
Avantgarde an die Kunst, ihre technischen Verfahren
offenzulegen und den Geniebegriff aufzugeben, strebte
zunächst an, die Gleichstellung zwischen dem Künstler
und dem industriellen Arbeiter zu erreichen. Im 20.
Jahrhundert wurde die Kunstproduktion durch die
Avantgarde (von Malewitsch und Mondrian über Albers und
Sol LeWitt bis Buren, um nur die Maler zu erwähnen)
dermaßen formalisiert, technisiert, und
entpersönlicht, daß alle Spuren der körperlichen
Präsenz des Künstlers im Kunstwerk tendenziell getilgt
wurden, so daß dieses Wek began, sich dem industriell
angefertigten Produkt mehr und mehr zu ähneln. Parallel
haben sich Ready-made-Technique und unterschiedliche
Varianten der Medienkunst entwickelt, welche die Spuren
der körperlichen Präsenz des Künstlers in seinem Werk
fast vollständig ausradiert haben.
Nun
hat aber die Reinigung der Kunst von jedem Verweis auf
eine bei seiner Herstellung physisch geleistete Arbeit
den Künstler im Endeffekt keineswegs dem industriellen
Arbeiter gleichgestellt. Ganz im Gegenteil wurde der
Künstler dadurch von jeder Art der Produktion radikal
entfernt und in der Nähe der Verwaltung, Planung,
Führung - und schließlich in der Nähe des Konsums
gebracht. Indem der Künstler der Avantgarde die
technischen Verfahren der Kunst offenlegt, formalisiert
und strategisch einsetzt, macht er eine Wiederholung
dieser Verfahren seitens des potentiellen Betrachters
von Anfang an möglich. Der Körper des Künstlers steht
der Wiederholung seines Umgangs mit den Dingen nicht
mehr in Wege. Der Blick des Künstlers wird
"entkörpert" - er wird zum reinen,
aristokratischen Blick, der nicht mehr
"arbeitet", sondern nur entscheidet, auswählt
und kombiniert. Und deswegen kann dieser Blick auch
wieder "verkörpert" werden, wenn jemand dazu
Lust hat, die Verfahren, die der Künstler offengelegt
hat, d.h. die Entscheidungen, die er durch seinen Blick
getroffen hat, nachzuvollziehen. Auf dieser Weise wird
der Gebrauch wieder gebraucht - wird der Konsum wieder
konsumiert.
Diese
Wiederholung hat nichts mehr mit der repetitiven,
industriellen Arbeit zu tun. Es handelt sich um den
herrschaftlichen Blick von der Chefetage, um den
verwaltenden und strategischen Blick, der wiederum nur
strategisch wiederholt werden kann. Die Tätigkeit des
heutigen, post-avantgardistischen Künstlers zeigt sich
nämlich als Serie expliziter, strategischer und
nachvollziehbarer Entscheidungen hinsichtlich dessen,
was ausgewählt und was weggelassen werden soll.
Dementsprechend funktionieren auch die Museen und
sonstige Kunstsammlungen heute nicht als Orte, an denen
die Unwiederholbarkeit des Geschichtlichen - die
Arbeitsleistung der Vergangenheit - repräsentiert wird,
sondern als Archive, in denen unterschiedliche
Strategien des Blicks archiviert werden, die jederzeit
aus diesen Archiven herausgeholt und neu eingesetzt
werden können.
Der
Künstler, der die Welt beobachtet und begutachtet, um
seine persönliche Wahl unter den Dingen dieser Welt zu
treffen, agiert für die Gesellschaft als vorbildlicher
Konsument. Seine Bilder sind in erster Linie
Konsumvorbilder. Er unterwirft sich nicht unserem
Geschmack, sondern er gestaltet diesen Geschmack. Seine
eigentliche Aufgabe ist das Geschmackdesign, das
Blickdesign. Sicherlich war die Aufgabe der
traditionellen Kunst ebenfalls die bildlichen
Darstellungen dieser Welt zu sammeln, das Interessante,
Bedeutende, Attraktive und Ungewohnte künstlerisch
festzuhalten und der Kontemplation darzubieten, um damit
den Blick des Betrachters zu erziehen.
Indes
war das sammelnde Interesse an den Darstellungen der
Welt früher innerlich gespalten, denn man konnte nie
eindeutig sagen, woher das Interessante und
Außergewöhnliche in den entsprechenden Bildern stammt:
ob sie interessant sind, weil die Gegenstände und
Ereignisse, die auf ihnen abgebildet sind,
außergewöhnlich sind, oder ob die physische Präsenz
des Künstlers so außergewöhnlich ist, daß sie allein
den Bildern ihre besondere Attraktivität verleiht.
Damit wurde die geniale künstlerische Individualität
selbst zu einer Rarität, zu einem Sammelstück, so daß
man keine scharfe Trennung vornehmen konnte zwischen dem
Interesse am Gegenstand und dem Interesse an der Art
seiner Darstellung: Beide galten sie als Produkte der
Natur - der äußeren Natur oder der inneren Natur des
Künstlers.
Der
konsequente Verzicht auf den Geniebegriff verwandelt
dagegen den Künstler endgültig aus dem Sammelstück
zum Sammler. Jetzt ist der Künstler nicht mehr der
Arbeiter - wenn auch ein privilegierter Arbeiter -,
sondern er beginnt, die Welt mit dem sammelnden Blick
des Herrn zu betrachten. Diese Verwandlung zeigt sich
besonders deutlich durch die veränderte Stellung des
Künstlers in der Zeitökonomie des Blicks. Die
überragende Arbeits-, Zeit- und Kraftinvestition, die
für die Schaffung eines traditionellen Kunstwerks
benötigt wurde, stand nämlich in einem äußerst
irritierenden Mißverhältnis zu den Bedingungen des
Kunstkonsums, denn nachdem der Künstler lange Zeit an
seinem Werk hart arbeiten mußte, durfte der Betrachter
dieses Werk mühelos und mit einem Blick konsumieren.
Daher die Überlegenheit des Konsumenten, des
Betrachters, des Sammlers über den Künstler-Maler als
Zulieferer der Bilder, die in mühsamer, physischer
Arbeit hergestellt worden sind. Als Photograph, als
Medienkünstler oder als Ready-mades-Sammler stellt sich
der heutige Künstler allerdings auf die gleiche Ebene
des Zeit- und Kraftaufwand mit dem Kunstsammler. Dadurch
wird der Bildproduzent dem Bildkonsumenten in der
heutigen Zeitökonomie des Blicks gleichgestellt.
Indem
der Künstler auf dieser Weise die Position des reinen
Betrachters, des vorbildlichen Konsumenten einnimmt,
kompensiert er das tiefste Trauma der Moderne, nämlich
den Verlust der Aristokratie. Man besucht heute eine
große Ausstellung oder eine Installation, wie man
früher einen aristokratischen Palast besucht hat. Der
Besucher wird zur Kunst vorgelassen - aber er ist nicht
ihr eigentlicher Konsument. Vielmehr nimmt er sich eine
bestimmte Art von Konsum, die der Künstler in seiner
Ausstellung demonstriert, zum Vorbild, wie man früher
die aristokratische Lebensweise zum Vorbild genommen
hat. Der heutige Kunstkonsument konsumiert nicht mehr
die Arbeit des Künstlers. Vielmehr steckt er seine
eigene Arbeit dahinein, wie ein Künstler zu
konsumieren.
Wenn
die Haltung des heutigen Künstlers aristokratisch ist,
sind seine Verfahren, unserer Zeit entsprechend, aber
vielmehr bürokratisch oder, genauer gesagt,
verwaltungstechnisch. Der Künstler wählt aus, nimmt
auf, modifiziert, redigiert, verschiebt, kombiniert,
reproduziert, ordnet, plaziert in der Reihe, stellt aus
oder legt beiseite. Er manipuliert die Bilder, wie die
großen, modernen Verwaltungen alle möglichen Daten
manipulieren. Und er tut es mit dem gleichen Ziel: Damit
der potentielle Kunde einen Blick, eine Perspektive
gewinnen könnte, die ihm eine interessante, neue,
anregende Ansicht der Welt erlauben würden. Der
Unterschied liegt allein darin, daß ein
Verwaltungsangestellter seine Vorgaben von außen
bekommt, wobei der Künstler diese Vorgaben souverän
sich selbst diktiert. So kann man vielleicht sagen, daß
der heutige Künstler im gleichen Verhältnis zum
heutigen Verwaltungsangestellten und seiner Tätigkeit
der Datenbearbeitung steht, wie früher der
traditionelle Künstler zum Fabrikarbeiter und seiner
manuellen Arbeit. So wie der Maler von damals die
Möglichkeit demonstrierte, die Spuren der
individuellen, physischen, körperlichen Arbeit im Werk
festzuhalten, so läßt der heutige Künstler in der
Monotonie der Datenbearbeitung den souveränen Blick
aufscheinen. Der Künstler hat also in unserer Zeit
endgültig die Seiten gewechselt. Er will nicht länger
Handwerker oder Arbeiter sein, der die Dinge produziert,
die sich dem Blick der anderen bieten. Statt dessen ist
er zum vorbildlichen Betrachter, Konsumenten,
Verbraucher geworden, der die Dinge betrachtet,
begutachtet und "aufnimmt", die von anderen
produziert werden.
Als
Flaneur mit dem souveränen Blick, ist der Künstler von
heute jener unendliche Konsument, dessen innovatives,
"unnatürliches", rein künstliches
Konsumverhalten das Telos jeder gut funktionierenden
Wirtschaft darstellt. Die Kunst von heute funktioniert
bekanntlich entsprechend dem Prinzip: "anything
goes". Das bedeutet: Alles ist ästhetisch
konsumierbar, alles kann man gut, toll, interessant
finden, alles kann als Kunstwerk interpretiert, alles
kann zu einem Gegenstand des Begehrens und des Genusses
werden. Damit wird die moderne technisch-ästhetische
Ökonomie total und unendlich. Die Kunst wird zum
offenen Horizont, zur letzten Frontier, zur Avantgarde
der modernen Wirtschaft. Die heutige Kunst zeigt, daß
man alles zum Objekt des Begehrens machen kann, wenn der
Künstler das Begehren neu definiert und ihm eine neue
Richtung gibt. Schon Carl Schmitt hat in seiner Schrift
"Der Begriff des Politischen" (1932) in bezug
auf die Frühromantik bemerkt: "Der Weg vom
Metaphysischen und Moralischen zum Ökonomischen geht
über das Ästhetische, und der Weg über den noch so
sublimen ästhetischen Konsum und Genuß ist der
sicherste und bequemste Weg zur Ökonomisierung des
geistigen Lebens". In der Moderne funktioniert die
künstlerische Avantgarde als ökonomische Avantgarde,
oder, wenn man will, als Ersatz-Aristokratie einer auf
der Grundlage der Ökonomie organisierten Gesellschaft -
als eine "künstliche" Aristokratie, deren
gesellschaftliche Funktion darin besteht, die Grenzen
des Begehrenswerten immer weiter zu verschieben.