Ein
europäisches Kulturprojekt steckt in der Ökonomie-Falle.
Als
"Naturschutzpark der Geistigkeit" hatte 1927 Egon
Erwin Kisch Weimar bezeichnet -1945 hätte er es nicht mehr
getan. Zum Bild von Weimar als Refugium abgeschieden
lebender Dichterfürsten samt aus anderen Provinzen
hinausgeworfenen Bauhäuslern war noch ein anderes Bild
hinzugetreten, das derlei Ironie künftig verbot. Der
deutsche Terror hatte sich bei Weimar eingenistet und das
Konzentrationslager Buchenwald zum Vorzeigelager Heinrich
Himmlers gemacht. Die 60.000-Seelen-Gemeinde in Thüringen
vereint seitdem deutsche Historie in einer enormen Dichte
und Gegensätzlichkeit, wie sie sonst vielleicht nur noch in
Berlin zu finden ist. Mit der Deutschen Klassik, dem
"Silbernen Zeitalter" Franz Liszts und dem
Aufbruch in die Moderne, den Walter Gropius mit dem Bauhaus
zu Weimar markierte, mit dem Absturz schließlich von den
Höhenflügen der Kulturavantgarde in die Tiefen des
Zivilisationsbruches hat die Stadt ein zwiespältiges Erbe
zu bewältigen, das sehr unterschiedliche, ja oft
unvereinbare Erwartungen weckt.
Die
große Chance
Im
Jahre 1999 ist Weimar "Kulturstadt Europas". Damit
erhält die Stadt eine große Chance, sich einen
entscheidenden Impuls für die Zukunft zu geben. Um diese
Aufgabe zu meistern, bringt sich die Stadt zunächst in
Ordnung und bündelt ihre Kräfte. Mit Mitteln aus den
öffentlichen Kassen des Bundes und vor allem des
Freistaates Thüringen werden in Höhe von zirka 400
Millionen Mark zahlreiche öffentliche Gebäude und Museen
saniert, umgebaut und neu errichtet.
Das
Programm zum Kulturstadtjahr versucht in insgesamt fünf
Themenräumen das Spektrum der verschiedenen Bezüge, in
denen Weimar steht, möglichst breit zu erfassen.
"Weimar in Europa", "Der
Goethe-Komplex", "10 Jahre danach",
"Abschied und Ankunft", "Die Schwierigkeit,
sich zu erinnern und sich zurechtzufinden" lauten die
einzelnen Bereiche. Darüber hinaus ist ein zweiter Teil des
Programms bewußt ohne enge thematische Bindung. Hier werden
die "Klassiker" der Gegenwartskultur, darunter
Daniel Barenboim, Philip Glass, Klaus Michael Grüber,
Robert Wilson, Andrej Bitow, Lew Dodin und John Neumeier,
einen ebenso großen Raum einnehmen wie Vertreter der jungen
Generation aus der aktuellen internationalen Kulturszene.
Für
das Kulturprogramm selber stehen 48 Millionen Mark zur
Verfügung. Davon bleiben allerdings für das eigentliche
Kulturjahr 1999 effektiv nur 20 bis 25 Millionen Mark
übrig, weil von dem Etat außerdem von 1996 bis 1998 drei
Festivals zu bestreiten waren. 25 Millionen Mark sind, auch
im Vergleich zu anderen Kulturstädten, wenig genug. Aber
offensichtlich läßt sich dieser Umstand nicht ändern.
Alle Versuche, die Fördersumme durch Bund, Land und Kommune
am Ende doch noch zu erhöhen, enden außer mit freundlichen
und verständnisvollen Worten stets mit dem Verweis auf das
Zauberwort "Sponsoring".
Kulturelle
Verwüstung
Wenn
Unternehmen Kulturereignisse finanziell unterstützen oder
sich gar an ihnen beteiligen, löst dies bei vielen noch
mäzenatische Traumvorstellungen aus. Der Freund Kaiser
Augustus', Maecenas, wurde für die "Firma
Augustus" finanziell tätig - und das völlig
uneigennützig. Dieses im besten Sinne zugeneigte,
kulturfleißige Tun engagierter Millionäre für das
Gemeinwohl existiert kaum mehr. Es ist inzwischen
überwiegend pragmatischen Geschäftsbeziehungen gewichen.
Heute geht es um Konzepte für ein kommunikatives
Miteinander im Rahmen von abgestimmten Werbestrategien,
Firmenprofilen, produktbezogenen Botschaften samt
emotionaler Produktbindung, langfristigen
Unternehmensphilosophien und vieles andere mehr.
Die
Zeichen der Zeit stehen auf "Ko-Evolution": Die
Deutsche Telekom und das Tour-de-France-Team strampeln
gemeinsam auf dopingfreiem Erfolgskurs; VW gründet die
Sound Foundation, die nicht nur Rockgrößen wie Bon Jovi
und die Rolling Stones unterstützt, sondern auch den
musikalischen Nachwuchs fördert. Gleichzeitig und mit
gewollten Überschneidungen sponsert der Konzern die
Ausstellung "Die Blaue Vier -Feininger, Jawlensky,
Kandinsky und Klee". Zu guter Letzt "beckert"sich
Mercedes-Benz ein neues Tennis-Team.
Natürlich
ist nicht zu leugnen, daß sich in den vergangenen
Jahrzehnten das Kulturverständnis zum Teil drastisch
verändert hat. Neil Postman spricht angesichts einer
zunehmenden Ausrichtung des Kulturbetriebes auf bloße
Unterhaltung vom "Zeitalter der kulturellen
Verwüstung". Die Kultur sitzt in der Ökonomie-Falle.
Ob damit schon das "Ende der Kultur" in greifbare
Nähe rückt? Wie in vielen Dingen verläuft auch hier die
Entwicklung keineswegs linear: Immer gab und gibt es ganz
gegenläufige Tendenzen.
Bezogen
auf Deutschland, läßt sich etwa nach wie vor ein
signifikanter Unterschied zwischen Ost und West ausmachen.
So betonen nach einer Studie des Freizeitforschers Horst W.
Opaschowski Bürger der neuen Bundesländer beim Besuch von
Kulturveranstaltungen "den fast sozialen
Verpflichtungscharakter des Kennenlernens von Neuem, der
Aneignung von Wissen oder der Anregung zum Nachdenken. (...)
Die Westdeutschen hingegen verbinden mit dem Besuch
freizeitkultureller Veranstaltungen besonders kommunikative
Erlebniserwartungen. (...) Die Kulturstätte machen sie zu
einem Ort kultivierten Freizeithappenings für
Gleichgesinnte. Der Bildungswert einer solchen Veranstaltung
hat mehr beiläufigen Charakter."Der anwachsende Zulauf
zum Kulturevent ist weitgehend unabhängig davon, ob es sich
um eine Veranstaltung der sogenannten "Hochkultur"
handelt oder um eine ausgemachte Unterhaltungsnummer.
Wie
dem auch sei: Die Zeiten, als General de Gaulle bei der
Berufung von André Malraux zum französischen
Kulturminister lapidar feststellte, Kultur beherrsche eben
alles, sind lange vorbei. Heute ließe Trappatoni grüßen:
Kultur hat fertig, jetzt alles Sponsoring, private
Finanzierung von Kultur ist Flasche leer.
So
wichtig das Sponsoring auch sein mag, so sehr braucht die
Kultur - von den ebenso essentiellen wie sinkenden
öffentlichen Zuschüssen abgesehen - auch weiter die
mäzenatischen Ideen, die nicht jedes Miteinander auf das
Streckbett von Leistung und Gegenleistung spannen. Die Kunst
nur dem puren Diktum der Effizienz und Effektivität zu
unterwerfen, sie nur in Reichweiten, Zielgruppenaffinität
und Zielerreichungsgraden zu messen ließe ihren Inhalt zur
Verpackung verkommen, macht aus dem "kreativen
Spiel"das kalkulierte Wirtschaftsinstrument.
Traum
von großen Summen
Das
kreative Potential und die künstlerischen Ergebnisse
unterschiedlichster Menschen nur auf den "return of
investment" zu reduzieren signalisiert im Gleichschritt
mit den Nullen hinter den Kennzifferkommas die kurzatmige
Orientierungslosigkeit. Daß die Kultur einen Stellenwert in
der deutschen Wirtschaft besäße und sich dieser in der
Zukunft verstärke, so wie es "Kulturinvest Top
500"der Agentur Kothes und Klewes behauptet, ist
allenfalls deutsche Innensicht und vermag im internationalen
Vergleich kaum zu bestehen. Die Kulturhauptstadt Stockholm
hat Sponsoringmittel in Höhe von 8,1 Millionen Mark
eingeworben, Kopenhagen erhielt Sponsoringgelder jenseits
der 100 Millionen Mark von der dänischen Wirtschaft. Von
solchen Summen kann Weimar nur träumen. Sind Kunst und
Kultur am Wirtschaftsstandort Deutschland also nur eine
nette Nebensache? Ist die Kulturnation Deutschland ein
Mythos längst vergangener Tage? Zeiten, in denen der
Shareholder value, die zwanghafte Maximierung der
Umsatzrendite, oberste Unternehmensmaxime geworden ist,
bestärken heute zumindest diesen Verdacht.
Während
der Sport mit Millionenbeträgen gesponsert wird, fällt
dies den Unternehmen bei der Kultur schwer. Dabei kann auch
der Sport keineswegs immer hohe Planungssicherheit und
Nachhaltigkeit garantieren. Wer sponsert schon gern einen
Verlierer und setzt damit noch sein Image aufs Spiel. Ob
"Obi" im Heimspiel für heimwerkende Fußballer
das goldene Image-Goal schießt oder ob nicht am Ende eine
demolierte Berti-Elf dem Baumarkt den Looser-Ball ins eigene
Tor kickt, kann niemand vorher wissen. Die Fallhöhe
jedenfalls von der internationalen Siegeswelle in den
Strudel der nationalen Blamage ist enorm.
Sicher
ist aber, daß die Sterne für die Kultur ungünstig stehen,
von der privaten Wirtschaft unterstützt zu werden -im Osten
allemal. Die deutsche Wirtschaft ist weitgehend eine
Westwirtschaft mit doppeltem Identifikationsproblem
gegenüber Weimar 1999. Die Stadt liegt im Osten, und sie
handelt mit Kultur. Sie lebt eher mit dem Charme der Armut
als mit dem Spaß des Reichtums. Damit ist sie in besonderer
Weise auf zusätzliche Mittel aus der Wirtschaft angewiesen
und hat es in besonderer Weise schwer beim Werben um diese
Gelder. In eine Problemregion zu investieren überlegt sich
jeder genau, dies gilt auch und gerade, wenn es um Kultur
geht.
Das
Kulturstadtjahr wäre allerdings eine außergewöhnliche
Chance, diesem Nachteil abzuhelfen. Wie kein anderes
kulturelles Ereignis wird es als mediales Kontinuum weit
über das Jahr hinaus öffentlich präsent sein und Partnern
Gelegenheit bieten, sich ausführlich und sichtbar mit ihm
zu verbinden. Die Heterogenität des Programms steht nicht
zuletzt für eine große Vielfalt an Möglichkeiten, das
angemessene Projekt für die eigene Unternehmensphilosophie
jenseits von purem Shareholder value zu finden.
Von
der Theaterproduktion "Goethes Frauen" mit Edith
Clever und Jutta Lampe, über ein Festival zum Thema
"Frankenstein und der Künstliche Mensch" und
einen Middle-East-Veranstaltungskomplex mit Daniel
Barenboim, Yo-Yo Ma und Zubin Mehta unter dem Titel
"Toleranz -Verständigung -Versöhnung" bis zur
apokalyptischen Multimedia-Produktion in der Regie von
Robert Wilson (Text: Umberto Eco); von der Verdoppelung des
Goethe-Gartenhauses über die Ausstellung "Wer hat
Angst vor Schwarz-Rot-Gold?" bis zu den 22 Stationen
der "Zeitreisen zu Fuß" im Weimarer Stadtraum und
Goethes "Italienische Reise" mit Klaus Maria
Brandauer - es gibt viel Stoff für die Suche nach
gemeinsamen Strategien.
Wirkliche
Partnerschaft
Hier
zusammenzufinden ist ein schwieriges Geschäft, das
gegenseitiges Vertrauen und inhaltliche Neugier erfordert.
Gerade die noch bestehende Offenheit einiger
Kulturstadtprojekte ein Jahr vor ihrer Realisierung bietet
aber auch die Chance, mit der Wirtschaft plausible
gemeinsame Ansatzpunkte zu finden, die nicht aufgesetzt oder
nachträglich hineininterpretiert wirken.
Für
Weimar und sein Kulturprogramm ist die stabile Verbindung
mit großen Partnern aus der Wirtschaft, die den Inhalt der
Verpackung vorziehen, ein Zeichen der eigenen
Ausstrahlungskraft weit in die Öffentlichkeit. Man kann
sagen: Je stärker eine Verbindung zwischen Sponsor und
Kulturveranstalter inhaltlich fundiert ist, um so mehr
wendet sich der Eindruck weg vom Image des bisweilen eher
indifferenten, bloß "mitgeführten" Sponsors zum
sichtbaren Symbol einer wirklichen Partnerschaft. Dieser Weg
verlangt Kompetenz, Engagement und Neugier auf beiden Seiten
sowie die Bewahrung eines Rests mäzenatischer Ideen. Zum
guten Schluß wäre solch eine Partnerschaft auch ein
Zeichen, daß der Osten nicht nur die verlängerte Werk-
oder Konsumbank des Westens ist.
Der
Beitrag erschien erstmals 1998 in der Serie "Kunst als
Avantgarde der Ökonomie: Neue Wege der Zusammenarbeit
zwischen Kultur und Wirtschaft" im "Rheinischen
Merkur".