Warum
gute Unternehmer auch Künstler sind
Im
Mai 1977 dachten viele Kollegen, Abraham Zaleznik habe den
Verstand verloren. Der ehemalige Harvard-Professor und
Psychoanalytiker hatte einen unerhörten Artikel im
"Harvard Business Review"veröffentlicht. Darin
behauptete er, eine wahre Führungspersönlichkeit gleiche
dem Künstler mehr als den kontrollierten, planvollen und
zielstrebigen Helden der gängigen Lehrmeinung.
Die
Aufregung im Professorenkreis ist auf den ersten Blick
verständlich. In der Tat scheinen Management und Kunst
nicht zusammenzugehen. Auf der einen Seite steht der kühle
Profitmaximierer, der unter dem fahlen Neonlicht der
Rationalität die Welt in kalkulierbare Stückchen seziert.
Sein Credo lautet Effizienz. Bei Kunst kommt dem Manager
bestenfalls eine lohnende Kapitalanlage in den Sinn, die
möglichst schnell im Banktresor eingebunkert wird.
Der
Künstler lebt in einer vollkommen anderen Welt. Hier riecht
wirtschaftlicher Erfolg unangenehm nach kommerziellem
Selbstmord. Wenigstens im sozialromantischen Kerzenlicht ist
Kunst etwas, das aus den Entbehrungen der Armut geboren
wird. Man denke nur an Spitzwegs Idyll des
Schlafmützenpoeten in seiner verwahrlosten Dachkammer. Wenn
man den nackten Zahlen glauben darf, dann hat sich nach
Angaben des Münchner Ifo-Instituts bis heute an diesem Bild
nichts wesentlich geändert. Das Durchschnittseinkommen
selbständiger Künstler liegt bei etwa 19[th]000 Mark -pro
Jahr, versteht sich. Ebnet das Schaffen des Künstlers doch
einmal den Weg zu einem stattlichen Einkommen, dann in der
Regel erst post mortem. So etwas nennt sich dann wohl
"Künstlerpech".
Gefangene
des Lehrbuchs
Diese,
in der Tat stereotypen Darstellungen sind Fluchtpunkte
unseres Denkens. Oder besser gesagt: Irrlichter. Denn ein
Unternehmen braucht immer beides, die Rationalität des
Managers und das Schöpferische des Künstlers. Die
Erkenntnis ist nicht neu. Zu Beginn des ausgehenden
Jahrhunderts hat der österreichische Ökonom Joseph A.
Schumpeter diesen Gedanken populär gemacht. Der oft
beschworene Schumpeter-Unternehmer ist im Kern ein Künstler
und gerade deswegen der treibende Motor der wirtschaftlichen
Entwicklung: "Er setzt den Daten gleichsam etwas hinzu.
Er gibt ihnen neue Formen und stellt sie in neue
Zusammenhänge, so wie das der große, schaffende Künstler
mit den überkommenen Elementen der Kunst tut."
Der
Schumpeter-Unternehmer ist für viele der Kapitalist par
excellence. Nur, Schumpeter konnte das Verhalten des
Unternehmers nicht aus Rationalität und Profitstreben
ableiten. Vielmehr beobachtete er, daß den Unternehmer die
"Freude am Neugestalten" und die
"Neugier" treiben, ökonomisch irrationale
Beweggründe also. Das Gegenstück zum schöpferischen
Unternehmer ist der dröge "statische Wirt". Zwar
sehr rational und effizient, bewegt er sich aber nur auf den
bereits vorgezeichneten Bahnen des Wirtschaftskreislaufes.
Das
irritiert ein wenig. Was soll an Rationalität falsch sein?
Warum nicht so vorgehen, wie die Verfasser einschlägiger
Lehrbücher nicht nur in Harvard unermüdlich predigen:
Alternativen zur Zielerreichung aufstellen, bewerten,
auswählen und den ganzen Vorgang sorgfältig kontrollieren.
Der Organisationspsychologe Karl E. Weick illustriert das
Problem mit einem kleinen Experiment: Zwei leere Flaschen
werden mit ihren Böden zu einer Lichtquelle ausgerichtet.
Ohne die Flaschen zu verschließen, gibt man in die eine
Bienen und in die andere Fliegen. Im Streben nach dem Licht
suchen die Bienen systematisch den Flaschenboden nach einem
Ausweg ab. Immer und immer wieder betasten die eifrigen
Insekten jeden Quadratmillimeter der unsichtbaren Barriere -
so dauerhaft, bis sie an Erschöpfung sterben. Die Fliegen
hingegen schwirren scheinbar planlos umher. Auf chaotischen
Bahnen surren sie durch die Flasche, bis sie schließlich
zufällig die Öffnung finden. Eine Fliege nach der anderen
entkommt.
Der
"statische Wirt" geht vor wie die emsigen Bienen.
Er scheitert daran, daß Alternativen nicht in Reih und
Glied aufmarschieren und artig darauf warten, gewählt zu
werden. Gefangen in unsichtbaren Denkbarrieren, geblendet
vom Glanz des Profits, ist er nicht in der Lage, sich vom
Hergebrachten zu lösen und grundlegend neue Alternativen zu
erschaffen. In diese Falle tappen etwa jene
Führungskräfte, die blind dem Shareholder value huldigen.
Wer allein die täglichen Börsennotierungen als Leitstern
besitzt, kann keine neuen Wege beschreiten. Gleiches gilt im
Prinzip auch für die Wissenschaft. Albert Einstein konnte
seinen Genius entfalten, weil er sich nicht ausschließlich
von seinem großen Fundus an wissenschaftlich gesichertem
Wissen hat leiten lassen. Er selbst behauptete von sich:
"Dostojewski gab mir mehr als jeder andere Denker, mehr
als Gauß."
Bedürfnisse
schaffen
Künstler
und große Führungspersönlichkeiten passen sich nicht an
äußere Gegebenheiten an, sondern schöpfen aus sich selbst
und gestalten die Umwelt. Doch in den Köpfen vieler Manager
scheint die Anpassungslogik bis heute zu dominieren.
Frederic G. Donner, früherer Vorstandsvorsitzender bei
General Motors, war ein Anhänger dieser reaktiven
Vorstellung: "Um den Herausforderungen des Marktes zu
begegnen, müssen wir rechtzeitig die Veränderung der
Kundenbedürfnisse erkennen, um die richtigen Produkte, am
richtigen Ort, zur richtigen Zeit, in der richtigen Menge
anbieten zu können."
Exzellente
Unternehmen sind kein Anpasser. Sie beherrschen nicht nur
die Spielregeln des Wettbewerbs, sondern brechen mit ihnen.
Anstatt reflexartig auf die vermeintlich vorbestimmten
Marktzwänge zu reagieren, erschaffen sie neue Märkte.
McDonald's warf die Branchenweisheiten der Gastronomie über
Bord. Der Siegeszug der Fast-food-Kette war keine
Übersetzungsleistung bereits vorgefundener Bedürfnisse.
McDonald's hat die Konsumgewohnheiten der Gäste umgewälzt.
Edwin
Land stimulierte mit der Entwicklung der Polaroidkamera erst
das Bedürfnis der Kunden, nach einem Schnappschuß sofort
das Ergebnis zu sehen. Seine Idee speiste sich nicht aus
Marktinformationen, sondern war eine kreative Leistung.
"Unser Mann der Tat", schreibt Schumpeter,
"folgt nicht einfach gegebener oder unmittelbar zu
erwartender Nachfrage. Er nötigt seine Produkte dem Markte
auf. Keine neue Maschine, keine neue Marke eines Genußgutes
wird unter dem Drucke vorhandener Nachfrage erzeugt."
Für
die Wissenschaft erwies sich diese Art von Unternehmertum,
man nennt es auch "Entrepreneurship", als eine
kaum zu knackende Nuß. Das Lieblingskind der
Betriebswirtschaftslehre ist seit jeher der berechenbare
"statische Wirt". Der quirlige
Schumpeter-Unternehmer fristet dagegen sein Dasein als ewige
Randbemerkung. Er bleibt ein nicht faßbares Phantom. Im
"Mann ohne Eigenschaften"legt Robert Musil dem
Unternehmer Grundig die Worte in den Mund: "Wir
Kaufleute rechnen nicht, wie Sie vielleicht glauben
könnten. Sondern wir -ich meine natürlich die führenden
Leute: die Kleinen mögen immerhin unausgesetzt rechnen
-lernen unsere wirtschaftlich erfolgreichen Einfälle als
etwas zu betrachten, das jeder Berechnung spottet, ähnlich
wie es der persönliche Erfolg des Politikers oder auch der
Künstler tut."
Aber
selbst wenn sich der schöpferische Unternehmer in Formeln
pressen ließe: Ein How-to-do-Buch nach dem Muster "Die
zehn ehernen Gesetze des Entrepreneurs" enthielte einen
vertrackten Widerspruch. Es würde Regeln zum Brechen von
Regeln aufstellen. Als "Kunstwerk" zeichnet sich
ein Unternehmen durch Einzigartigkeit aus. Mit einem
Ratgeber, den jedermann in der Buchhandlung für ein paar
Mark kaufen kann, ist nichts Einmaliges zu kreieren. Kein
Mensch käme ja auch ernsthaft auf die Idee, einen Leitfaden
zur Produktion von bedeutenden Kunstobjekten zu erstellen.
Noch
eine weitere Ursache mag die Abneigung der
Betriebswirtschaftslehre gegenüber dem Entrepreneur haben.
Von Berufs wegen müssen Betriebswirte glauben, das Geschick
eines Unternehmers fest im Griff zu haben. Die
Beschäftigung mit der künstlerischen Dimension der
Unternehmensführung läßt jedoch eine düstere Ahnung
aufkommen: Hält etwa nicht das Management, sondern der
Zufall die schicksalhaften Fäden in der Hand? In der Kunst
besitzt der Zufall als Gestaltungselement eine gewisse
Tradition. Die besondere Haltung von Michelangelos
"David" soll durch einen mißglückten Meißelhieb
entstanden sein.
Das
irrationale Moment
Die
gegenstandslose Malerei entstand, als Kandinsky in der
schummrigen Abendsonne zufällig ein auf dem Kopf stehendes
Bild betrachtete. Duchamps wichtigstes Werk, "Das
große Glas", verdanken wir einem Transportunfall. Erst
durch die zahlreichen Risse im beschädigten Glas wurde es
vollendet. Die Dadaisten erhoben schließlich den Zufall zum
Gestaltungsprinzip. Die Erfolgsgeschichten der Wirtschaft
hören sich oft ähnlich an. Beispiel Pfizer: Innerhalb
weniger Monate schoß das Pharma-Unternehmen dem Börsenwert
nach auf Branchenplatz zwei in der Welt. Treibstoff für den
raketenhaften Aufstieg war der Top-Seller des Konzerns: das
Potenzmittel Viagra. Ursprünglich beabsichtigte Pfizer, ein
Herzmedikament zu entwickeln. Als solches war Viagra ein
Flop. Nach Ablauf von klinischen Tests wollten dennoch viele
Probanden das Medikament nicht wieder herausrücken. Die
Gründe hierfür sind bekannt, der Rest der Geschichte auch.
Die enorme Chance, die sich plötzlich ergab, ergriff Pfizer
beim Schopfe. In der Pharma-Branche prophezeit man Viagra
den größten Umsatz, der je mit einem Medikament
erwirtschaftet wurde.
Ein
anderes Beispiel liefert die Firma Intershop des
ostdeutschen Jungunternehmers Stephan Schambach. Mit
mäßigem Erfolg installierte Schambach Computernetzwerke,
hauptsächlich für Universitäten. Dabei war die aufwendige
und unzulässige Bestellung von Computerteilen im
Großhandel ein Dauerproblem. Als Serviceleistung bot
Schambach daraufhin dem Großhandel eine Software an, die
den Bestellvorgang automatisierte. Doch der Großhandel
lehnte die fast kostenlose Software dankend ab. Erst jetzt
war Schambach gezwungen, sein Programm anderweitig zu
vertreiben. So stolperte der heute 27jährige unverhofft in
den Wachstumsmarkt für Electronic Commerce. Inzwischen hat
Intershop einen höchst erfolgreichen Börsengang hinter
sich, besitzt weltweit Niederlassungen und schickt sich an,
gegen die Branchenriesen Microsoft und IBM anzutreten.
Mag
der Zufall auch eine Rolle spielen, auf der anderen Seite
ist genauso klar: Ein Unternehmen im rauhen Wind des
Wettbewerbs ist kein verträumtes Atelier. Und Fatalismus
und Gottvertrauen sind der sicherste Weg, vom Markt
weggefegt zu werden. Aber wie versorgt sich ein Unternehmen
mit jenem notwendigen irrationalen Moment, aus dem sich das
Künstlerische speist?
Eingeklemmt
im Sandwich
Viele
sagen, durch Intuition, Erfahrung oder moderner: Visionen.
Doch so schön das klingt, visionäres Management ist eine
Gratwanderung. Die Trennlinie zwischen dem unbedingten
Glauben an eine intuitiv entworfene Vision und der fiebrigen
Wahnvorstellung göttlicher Eingebung ist dünn.
Nur
so viel ist sicher, der Eigentümer-Unternehmer, den
Schumpeter vor Augen hatte, kann allein nicht mehr der
Taktgeber der Wirtschaft sein. Heute wird der weitaus
größte Teil des Unternehmenskapitals von angestellten
Managern bewegt. In Zeiten kritischer Aktionäre, mächtiger
Fondsmanager und bestens unterrichteter Kreditgeber ist
diese Form der Unternehmensspitze beinahe genauso im
Sandwich zwischen Oben und Unten eingeklemmt wie jeder
andere im Unternehmen auch.
Ob
Neugier und die pure Lust am Schöpferischen die angestellte
Führungsriege treiben, glaubt niemand so recht. Es spricht
einiges dafür, das Künstlerische auf alle Hierarchieebenen
zu verteilen. In Unternehmen, die wie etwa auch Gehirne oder
Gesellschaften dezentral organisiert sind, steigen die
Chancen, den Zufall kreativ auszubeuten.
Noch
ein weiterer Punkt wird zunehmend zur Gewißheit: Wenn
Wissen mit schwindelerregender Geschwindigkeit um den
Erdball rotiert, wenn die Lebenszyklen der Produkte immer
kürzer werden und wenn selbst Hochtechnologie nicht mehr
die unangefochtene Domäne einer Handvoll Industriestaaten
ist, reicht für den nachhaltigen Erfolg kein einmaliger
Geniestreich. Die "schöpferische Zerstörung" ist
eine Daueraufgabe. Das Unternehmen der Zukunft wird der Ort
sein, an dem der kreative Funke des Künstlers auf das
rationale Kalkül des Ökonomen trifft und das Feuer des
Schöpferischen immer wieder entzündet.
Der
Beitrag erschien erstmals 1998 in der Serie "Kunst als
Avantgarde der Ökonomie: Neue Wege der Zusammenarbeit
zwischen Kultur und Wirtschaft" im "Rheinischen
Merkur".